Die kleinen Preise

„Kunst zum kleinen Preis“ überschrieb das Abendblatt am Donnerstag ihren Artikel zur Eröffnung der Affordable Art Fair (AAF) und freute sich über volle Kojen in den Messehallen. „Kunst-Snobs“ nannte sie dagegen jene, die über die Billig-Messe ihre Nase rümpfen. Aber stimmt das auch? Kann es wirklich nur Elitarismus sein, wenn Menschen ihr Missfallen darüber äußern, was da am Wochenende in Hamburg veranstaltet wurde?

Auf der Suche nach den kleinen Preisen: Besucher auf der P/art

Auf der Suche nach den kleinen Preisen: Besucher auf der P/art

Ich habe kein Problem damit, wenn Kunstwerke unter 1000 Euro angeboten werden. Das Multiple war schließlich keine Erfindung von gerissenen Galeristen, sondern von Künstlerinnen und Künstlern, die ihre Werke nicht länger nur in Alstervillen oder Eppendorfer Luxusapartments sehen wollten. Ein Problem habe ich aber, wenn sich Leute von vermeintlich übertriebenen intellektuellen und ästhetischen Ansprüchen freimachen und das damit begründen, nicht „hochtrabend“ wirken zu wollen. Man sollte hanseatisches Understatement nicht mit Anspruchslosigkeit verwechseln.

Ich habe mir die AAF mal angesehen und in den Massen von Bilderjägern, die sich zu peitschender Einkaufsmusik durch die Gänge schoben, eher ein Pedant zu jenen globalen Superreichen gesehen, deren schlechter Geschmack in den letzten Jahren das obere Segment der Kunstpreise umsortierte. Das Gekaufte war, wie es ein Leitartikel in der aktuellen Zeit formuliert, „nicht sonderlich originell, nicht radikal, nicht tiefsinnig oder gar provozierend“. Es war nur eines: teuer. Doch genau deshalb gehörten Arbeiten von Damien Hirst oder Jeff Koons plötzlich zu begehrten Milliardärs-Accessoires, ohne das ihre Arbeiten das auch nur im Ansatz rechtfertigen würden. Entsprechend ungerechtfertigt finde ich auch den Hype um das Angebot der AAF, das es nur in sehr seltenen Momenten über die ästhetische Ödnis der Ikea-Deko-Abteilung hinaus schaffte. Denn auch für diese Arbeiten schlägt in erster Linie das Argument ihres Preises, nur anders herum. Es war vor allem eines: billig. Natürlich ist es jedem selbst überlassen, sein Geld auszugeben, wofür er will. Es erscheint mir nur etwas anmaßend, wenn ein solches Verkaufsevent sich Begriffe der Kunstgeschichte leiht, um die eigene Ware aufzupeppen. Auf der Webseite findet man ein kleines ABC der „Kunstbewegungen“ von der Abstraktion bis zur Konzeptkunst. Doch wer sich auf der AAF umgesehen hat, wird wissen, dass diese Begriffe bzw. ihre Geschichte dort wenig zu suchen haben. Gibt es denn keine Kategorien aus der Welt von Schöner Wohnen, auf die man sich hätte berufen können?

Große Kunst zum kleinen Preis? Die AAF in der Morgenpost.

Große Kunst zum kleinen Preis? Die AAF in der Morgenpost.

Es gibt ein grundsympathisches Argument, mit dem die Veranstaltung gerne verteidigt wird, auch von Kultursenatorin Barbara Kisseler, die ein Vorwort für den Katalog geschrieben hat. Die AAF sei ein Beispiel für „Demokratisierung von Kunst und von Märkten, mehr Teilhabe für mehr Personengruppen über niederschwellige Angebote“. Wenn ich das lese, habe ich schon wieder ein schlechtes Gewissen, wenn ich mich schimpfen höre. Aber die Sache hat einen Haken. Denn genauso könnte man argumentieren, das Programm von RTL2 sei ein Beitrag zur Demokratisierung des Fernsehens und würde die Zuschauer durch niederschwellige Angebote an „Das literarische Quartett“ und den „Presseclub“ heranführen. Die Erfahrung lehrt das Gegenteil. Oder habe ich etwas verpasst und das Fernsehprogramm ist in den letzten Jahren besser geworden?

Warum überhaupt aufregen? Weil die Geschichte und die Ideen, die sich in den Begriff der „Kunst“ eingeschrieben haben, zu schade wären, um sie zu einem beliebigen Shoppingsegment zu degradieren. Als ich am Wochenende die AAF besuchte, hatte ich den Eindruck, hier würde genau das passieren. Wenn an dieser Stelle auch der „Kunststandort“ Hamburg mitdiskutiert werden soll, muss es erlaubt sein, das mal in dieser Deutlichkeit zu sagen. 

Künstlergespräch auf der P/art

Künstlergespräch auf der P/art
Foto: P/art

„Kunst zum kleinen Preis“ – das geht nämlich auch anders. Erlebt auf der P/art, der Producers Art Fair, die im Oktober in Bahrenfeld stattfand. Ich gestehe, dass ich hier eine ähnliche Gemengelage von esoterischem Kunsthandwerk, schlechter Malerei und gezähmter Streetart befürchtete. Vielleicht wäre ich gar nicht hingegangen, wenn mich das Amt der Kunstbeutelträgerin derzeit nicht zu solchen Ausflügen zwänge. Doch was die jungen Organisatoren in den Hallenräumen des Kolbenhofes auf die Beine stellte, hat mich doch überrascht! Schon das Ambiente und die provisorische Messearchitektur signalisierten, dass hier ein anderer Wind wehen würde. Die Atmospäre hatte etwas atelierhaftes, glich eher der auf einer Jahresausstellung einer Kunsthochschule. Ausgezahlt hat sich auch, dass die Auswahl der Künstlerinnen, die ihre Werke dort ohne Galerien und Zwischenhändler selbst feilboten, durch eine qualifizierte Jury vorgenommen wurde. Das macht aus einer Messe noch keine Ausstellung, aber konkret sorgte es dafür, dass sich eine Menge interessanter Arbeiten in den Kojen fanden. Auch hier war weißgott nicht alles gut, aber immerhin traf man auf vielversprechende Hamburger Künstlerinnen wie Anik Lazar oder Janine Eggert und Philipp Ricklefs. Mir fiel außerdem ein Künstler auf, Ehsan Soheyli Rad, der eine Holzplatte anbot, die an einem Gerüst lehnte. „Willst du das anders?“ stand darauf. Das ist so einfach und grundlegend und wirkte trotzdem nicht im Geringsten plakativ. Schließlich könnte man auf die Frage auch einfach mit ja oder nein antworten…

Der Messestand von Ehsan Soheyli Rad

Der Messestand von Ehsan Soheyli Rad
Foto: P/art

Es hat etwas Lapidares, wenn das Kunstwerk einen duzt. Zugleich impliziert die einfache Frage eine Wahl. Eine Wahl, die wir uns oft nur noch zwischen Adidas und Nike, CDU und SPD, Schokolade und Vanille, zwischen Pest und Cholera zugestehen. Aber wenn ein Kunstwerk fragt, dann muss mehr gemeint sein. Geht’s vielleicht doch ums große Ganze? Also: ja oder nein? Die Bilder von Ehsan Soheyli Rad, die auf der Messe, aber auch die, durch die ich mich später noch auf seiner Webseite klickte, entführen in die Welt des Alltäglichen. Entführen deshalb, weil seine Fotos zwar Bekanntes ablichten – Kerzenhalter, Untertassen, Ledersitze – aber in einer Weise, die es mir wieder fremd macht. Willst du das anders? Seine Fotografien stellen die Frage eigentlich viel eindringlicher, als die Platte aus Nussbaumholz. Die andere Welt des Ehsan Soheyli Radwird mit 2000 Euro prämiert.

Bild aus der Serie "Gays, Guns and God" von Ehsan Sohely Rad

Bild aus der Serie „Gays, Guns and God“ von Ehsan Soheyli Rad

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Ebenfalls aus „Gays, Guns and God“ von 2012

Die Index Ausstellung im Kunsthaus ist gegenüber den jüngsten Zuwächsen schon so etwas wie die Grande Dame der Hamburger Verkaufsausstellungen. Sie ist ebenfalls kuratiert, lässt den Arbeiten Raum, weshalb man auch hier die ein oder andere Entdeckung machen kann, selbst wenn man gerade keine Flachware für über’s Wohnzimmersofa sucht. Eine Videoinstallation von Felix Thiele hat mich länger Zeit beschäftigt. Sie zeigt zwei Videospiel-Krieger vor dem Kampf. Sie wippen gleichmäßig hin und her, als würden sie sich jeden Augenblick an die Gurgel gehen. Aber der Ausbruch bleibt aus. Im Hintergrund spuckt ein Vulkan bloß ein bisschen Lava in eine apokalyptische Kraterlandschaft. Fahrstuhlmusik untermalt den unendlichen Stillstand. Es ist fünf vor zwölf – aber für immer. Felix Thiele bekommt 1000 Euro.

Filmstill aus der Installation „Easy“ von Felix Thiele

Filmstill aus der Installation „Easy“ von Felix Thiele
Foto: Index

Den diesjährigen Berenberg-Preis, der seit einigen Jahren im Rahmen der Index vergeben wird, gewann Katja Aufleger. Sie hat ihn mit Sicherheit verdient und war mir auch schon auf der P/art aufgefallen, wo sie eine Schallplatte präsentierte, die nach den Höhengraden der Erdkugel gepresst war. Aber die Gewinnerin des Abends war für mich eindeutig die Künstlerin Tintin Patrone. Sie und ihr Krachkistenorchester spielten am Eröffnungsabend in einer beeindruckenden Installation, die die Künstlerin eigens angefertigt hatte. Neun Musikerinnen saßen auf großen Holzschaukeln und balancierten sich und ihre eigenartigen Musikinstrumente. Beim Krachkistenorchester sind das spielautomatengroße Kisten, die je unterschiedliche Geräusche produzieren. Die analogen Krachmacher sind aus alten Verstärkern oder Kinderspielzeugen aus- und umgebaut worden. Seit Jahren erweitert die Künstlerin ihr Instrumentarium, der Klang wird komplexer und bleibt doch dem guten alten Punk-Motto treu, wonach es nicht aufs Können sondern aufs Machen ankommt. Punk mit den Mitteln der Freizeitgesellschaft. Dazu passte, dass alle Musikerinnen beim Auftritt in bequemen, bunten Jogginganzügen steckten. Beim Konzert auf der Index kamen neben den Kisten auch sehr merkwürdige Gitarren aus Plastikflamingos und das farbige Holzreplikat eines Amboss zum Einsatz. Verkauft hatte die Künstlerin zum Zeitpunkt meines Besuchs noch nichts. Dafür erhält sie jetzt 2000 Euro Extraprämie aus dem Kunstbeutel der Stadt.

Die Künstlerin Tintin Patrone mit Pelikanguitarre Foto: Kunsthaus Hamburg

Die Künstlerin Tintin Patrone mit Flamingoguitarre
Foto: Kunsthaus Hamburg

Auftritt im Kunsthaus: das Krachkistenorchester Foto: Kunsthaus Hamburg

Auftritt im Kunsthaus: das Krachkistenorchester
Foto: Kunsthaus Hamburg

Zum Schluss: Es ist immer irgendwie paradox, wenn Kunst zum Verkauf angeboten wird, bleibt doch ihre eigentliche Qualität – die der Erfahrung – unbezahlbar. Trotzdem ist nichts Grundsätzliches dagegen einzuwenden, dass Künstlerinnen und Künstler ihre Werke verkaufen und so ihr Geld verdienen. Umso wichtiger ist aber das Wie! Schafft es eine Veranstaltung der angesprochenen Widersprüchlichkeit in einer Weise Rechnung zu tragen, dass sowohl verkauft als auch rezipiert, also erfahren werden kann? Verdient gute Kunst nicht zumindest den Anspruch, den Versuch, Beides zu ermöglichen?

Anonymus (der oder die Kunstbeutelträgerin)