Heiß auf neue Texte

Zur Kunst und ihrer Ermöglichung gehören nicht nur Künstlerinnen und Künstler, genauso sind es Kuratorinnen und Kritikerinnen, Galeristen, Gestalter, Autorinnen und Intellektuelle.

Ich möchte heute fünf Nicht-Künstler auszeichnen.

Kein schlechter Ort für Kunst: das Bücherregal. „Untiled (Book Sculpture)“, 2012 von Matias Faldbakken auf der documenta 13
Foto: Henrik Stromberg

Oft wird darüber geklagt, dass Hamburg in den letzten Jahren viele Künstlerinnen und Künstler an Berlin verloren hat. Als Grund werden dann gerne die günstigen Mieten der Hauptstadt ins Feld geführt. Die sind sicher ein Argument. Entscheidender für die Attraktivität von Berlin ist meiner Ansicht nach aber das geistige Klima. Nicht nur gibt es nirgendwo in Deutschland so viele Künstlerinnen und Künstler wie in Berlin. Es gibt auch nirgendwo so viele kunstbegeisterte Intellektuelle, so viele Symposien zur Kunst, so viele Kunstmagazine und Blogs, die über Ausstellungen berichten und die Arbeiten der in der Stadt lebenden Künstlerinnen diskutieren. Welche Resonanz ihre Kunst erzielen kann, wie darüber gesprochen, geschrieben und reflektiert wird – ich glaube auch das ist ausschlaggebend für die Entscheidung einer Künstlerin dafür, wo sie leben und arbeiten möchte.

Hamburg hat leider auch in diesem Bereich viel verloren. Viele, vielleicht die meisten Kulturredakteure der großen Zeitungen und Zeitschriften aus Hamburg leben mittlerweile in Berlin. Freie Autoren? Philosophinnen? Professorinnen? Privatdozenten? Viele wurden abgezogen, man braucht sie in Berlin. Besser gesagt, sie fühlen sich dort gebraucht. Auch die meisten Studentinnen der Kunstgeschichte in Hamburg oder der Kulturwissenschaften in Lüneburg zieht es nach dem Studium dorthin. Wer einen neuen Raum eröffnen, ein neues Kunstformat erproben oder eine Zeitschrift gründen will… tja, Berlin. Wie gesagt, ich glaube es hat auch mit der oft geringen Resonanz zu tun, die man hier in Hamburg maximal erreichen kann.

Was nützt die beste Ausstellung, wenn es nur drei Journalisten gibt, die potentiell darüber schreiben könnten? Wie sollen die Auftritte junger Hamburger Künstlerinnen auch überregional Bedeutung gewinnen, wenn es kaum Leute gibt, die in der Lage sind, diese Bedeutung weiterzuerzählen und weiterzudenken?

Jetzt die gute Nachricht. Zwar haben viele die Stadt verlassen, aber ausgestorben ist Hamburg noch lange nicht. Statt Dirk von Lotzow, Horst Bredekamp oder Daniel Richter hinterher zu trauern, könnten wir uns auch freuen über den Platz, den sie freigeräumt haben. Wichtig ist nur, dass es Leute gibt, die ihn wieder füllen. Wichtig ist, dass Hamburg heiß bleibt auf Input. Heiß auf neue Texte, neue Gedanken, neue Zeiten. Es gibt so viele junge Künstlerinnen in Hamburg, umtriebige Off-Räume, selbstorganisierte Ausstellungen, spannende Debatten und Entwicklungen. Es braucht nur Menschen, die darüber schreiben, Medien, die publizieren und hungrige Menschen, die lesen.

Das DARE Magazin aus Hamburg Foto: Scoop Thinktank

Das DARE Magazin aus Hamburg
Foto: Scoop Thinktank

Ich möchte daher heute Menschen auszeichnen, die dazu Beitragen, dass genau das in Hamburg passiert. Anfangen will ich mit Isa Maschewski, die mit anderen vor einigen Jahren das Magazin „DARE“ ins Leben gerufen hat. Ich bin irgendwo in einem Bahnhofsladen auf die erste Ausgabe aufmerksam geworden. Nicht in Hamburg, sondern in Köln. Wie Tillmann Terbuyken in einem Kommentar zu meinem ersten Beitrag richtig anmerkt, ist es für Künstlerinnen wichtig, die Geschichten aus Hamburg auch überregional bekannt zu machen. „DARE“ stellt neben international renommierten Künstlerinnen immer wieder auch spannende Newcomer aus Hamburg vor. Wie Stefan Mildenberger in der aktuellen Ausgabe oder Annika Kahrs und Jennifer Bennett in denen davor. In dem Blog zum Magazin werden oft Ausstellungen aus Hamburg besprochen, außerdem betrieb Isa Maschewski bis vor Kurzem noch einen eigenen kleinen Projektraum. Man kann sich nur wünschen, dass die Idee „DARE“ weiter gedeiht. Isa Maschewski erhält 2000 Euro.

Roger Behrens auf dem Brimboria-Kongress 2010 in Leipzig Foto: Brimboria-Blog

Roger Behrens auf dem Brimboria-Kongress 2010 in Leipzig
Foto: Brimboria-Blog

Eine weitere Figur, die hier in Hamburg die Debatten um „Kunst und überdies“ bereichert, ist Roger Behrens. Wie man auf seiner Webseite erfährt schreibt er pausenlos Beiträge für Magazine und Sammelbände, wie zum Beispiel für „Das Ende der Enthaltsamkeit“, dem Buch zum gepflegten Hedonismus der Golem Bar. Dort habe ich ihn auch schon öfter bei Lesungen und Diskussionsveranstaltungen erlebt, die er mitorganisierte und moderierte. Roger Behrens, Sozialwissenschaftler, schreibt auch und oft über gesellschaftspolitische Themen. Gerade das macht ihn für die Kunst in Hamburg so wertvoll. Denn wenn sich Kritikerinnen nur in der Kunst zu Hause fühlen, werden ihre Reflektionen oft blass und beziehungslos. Wenn Kunst etwas zur Gegenwart zu sagen hat, braucht es Menschen die sie zu ihr in Zusammenhang setzen können. Leute wie Roger Behrens. Er bekommt 2000 Euro.

Gustav Mechlenburg im Videointerview mit Fluter Foto: Fluter

Gustav Mechlenburg im Videointerview mit Fluter
Foto: Fluter

Noch jemand, den man oft auf Vernissagen junger Künstlerinnen und Künstler trifft ist Gustav Mechlenburg. Mit dem Textem Verlag hat er nicht nur eine Plattform für Kritiken und Essays mitgegründet, sondern auch ein Netzwerk geschaffen, das in Hamburg in den vergangenen Jahren viel bewegt und möglich gemacht hat. Der Verlag hat außerdem eine Menge Kataloge und Literatur von Hamburger Künstlerinnen publiziert, die es sonst vielleicht nie ins Buchregal geschafft hätten. In einem Videointerview mit dem Magazin Fluter erzählt er, dass sich mit dem Erfolg der Zeitschrift Kultur & Gespenster (ein Produkt des Textem Verlags) viele animiert fühlten, selbst aktiv zu werden. Das glaube ich sofort. Projekte nicht nur mit überregionalem, sondern auch mit hohem gestalterischem und intellektuellem Anspruch können eine Szene regelrecht beflügeln. Gerade wenn sie von Publizisten gemacht werden, die offen bleiben für neue Entwicklungen und künstlerische Tendenzen. Gustav Mechlenburg bekommt ebenfalls 2000 Euro.

Ausstellung des 8. Salon in St. Pauli Foto: Webseite Kunstraum München

Ausstellung des 8. Salon in St. Pauli
Foto: Kunstraum München

Zuletzt gehen jeweils 1000 Euro an zwei Menschen, die wahrscheinlich schon länger „im Geschäft“ sind, mir aber kürzlich positiv aufgefallen sind. Roberto Ohrt mit einer Kritik für die Kunstzeitschrift Frieze d/e. Die Kritik handelte zwar von einer Ausstellung in Berlin, aber wie erwähnt braucht es kluge Menschen in Hamburg, die in der Lage sind, Ausstellungen für ein interessiertes Publikum zu bewerten und in Zusammenhang zu setzen mit dem Rest der Welt. Die meisten Kunstmagazine sitzen heute in Berlin, deshalb ist es notwendig, dass Menschen ihnen erklären können, wer, wie und was die Hamburger Szene bewegt. Roberto Ohrt ist selbst auch Mitgestalter dieser Szene und betreibt mit jungen Künstlern im „8. Salon“ regelmäßig Ausstellungen in einer alten Bücherei auf St. Pauli. Zuletzt eine ganze Reihe zum Bilderatlas von Aby Warburg. Ich hatte lange keine Kritiken mehr von ihm gelesen und hoffe, dass es bald wieder mehr Gelegenheiten gibt.

Ralf Schlüter mit Moderator Ruben Jonas Schnell von ByteFM Foto: Facebook

Ralf Schlüter mit Moderator Ruben Jonas Schnell von byte.fm
Foto: Facebook

Den Beitrag von Ralf Schlüter habe ich nicht gelesen sondern gehört. Mitten im fantastischen Musikprogramm von byte.fm wurde nämlich die Kunst zum Thema. Das Format heißt „art-Mixtape“ und ist eine Kooperation zwischen byte.fm und dem Kunstmagazin „art“. Auch in diesem Beitrag standen nicht direkt Hamburger Künstlerinnen auf der Themenliste. Es ist aber wichtig, dass die Stadt Formate wie diese hervorbringt, die auch überregional Aufmerksamkeit erreichen. Deshalb möchte ich das „art-Mixtape“ gerne auszeichnen. Die Verbindung von Musik und Kunst ist wie gemacht für eine Stadt, in der sich ambitionierte Künstlerinnen und Musikerinnen oft nicht nur Themen und Tendenzen, sondern auch dieselben Kneipen teilen. Ich hoffe, dass noch viele Mixtapes aus Hamburg folgen werden, die Sendung war nämlich erst die zweite. Im Web findet man neben einigen Kritiken und Artikeln nur wenig zu Ralf Schlüter (es gibt auch einfach zu viele, die seinen Namen tragen). Er ist stellvertretender Chefredakteur von „art“, übrigens eines der wenigen Kunstmagazine aus Hamburg. Im Radio verriet Schlüter auch, dass er selbst noch in der Stadt lebt. Das Thema der Sendung war nämlich eigentlich… Berlin.

Wir sind wahrscheinlich alle gerne und oft in Berlin. Die Stadt war in den vergangenen Jahren eben ein großes und oft eingelöstes Versprechen für alles, was mit Kunst zu tun hatte. Aber wie viele bin ich immer wieder froh, wenn mein Zug auf der Rückfahrt die Elbe überquert und sich das Panorama einer Stadt eröffnet, deren Kunstwelt sich übersichtlicher, weniger hysterisch und glamourös gestaltet. Wichtig ist nur, dass es eine Szene gibt, die daraus auch den Anspruch ableitet, eigenständiger, konzentrierter, vielleicht konsequenter zu arbeiten als in der zappeligen Hauptstadt. Alles darunter wäre schließlich provinziell, und in Hamburg fürchtet man keinen Vorwurf so sehr wie diesen.

In diesem Sinne: Support your local Kunstdiskurs!

Anonymus (der oder die Kunstbeutelträgerin)