Erlebnisbericht Jahresausstellung…

… und die ersten drei Beschenkten.

Unerkannt konnte ich mich vor drei Wochen ins Gedränge der HFBK-Jahresausstellung stürzen. Nicht an allen Tagen ist Gedränge, aber der Eröffnungsabend ist immer die große Ausnahme. Dann trifft sich die sonst eher zerstreute Hamburger Kunstszene geballt in den Gängen „ihrer“ Kunsthochschule. Im Nachhinein bin ich froh, mir die Flut von neuen Arbeiten an einem der folgenden Nachmittage nochmal in Ruhe angeschaut zu haben. Als Kunstbeutelträgerin bin ich jetzt zur Sorgfalt angehalten, und das ist gar nicht so schlecht…

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Kunstbeutel im Gedränge der Jahresausstellung der HFBK
Foto: Imke Sommer

Am Eröffnungsabend sah ich viele enttäuschte Gesichter. Das Niveau der Arbeiten hätte in den letzten Jahren nachgelassen, hörte ich einen älteren Galeristen raunen, was immer das aus seiner Perspektive bedeutet. Natürlich vergleicht man gerne mit vorhergehenden Jahrgängen. Bestimmt habe ich lange nicht so viele Jahresausstellungen gesehen, wie der enttäuschte Kunsthändler. Aber die ein oder andere war es doch in den letzten 15 Jahren. Ich muss zugeben, dass ich den alten Mann auf eine Art verstehen kann. Das Meiste, was ich in der Kunsthochschule gesehen hab, hat mich eher kalt gelassen. Merkwürdigerweise waren es gerade die Klassen der „namhafteren“ Professorinnen und Professoren wie Jutta Koether, Anselm Reyle, Andreas Slominski oder Thomas Demand, in denen ich mich langweilte. Für meinen Geschmack waren die Arbeiten der Studierenden denen ihrer Lehrerinnen und Lehrer oft zu ähnlich. Scheinbar müssen bei vielen von Anselm Reyles Studierenden die Arbeiten genauso rockig und grell sein wie beim Vorbild und bei denen von Andreas Slominski genauso clever und ironisch. Zumindest war das mein Gesamteindruck bei den jeweiligen Klassenpräsentationen. Ich hatte das Gefühl, dass es derzeit von Studierendenseite wenig Drang gibt, sich gegen die Generation der Professoren abzugrenzen.

Ums vorweg zu nehmen: Ich habe auf der Jahresausstellung auch richtig interessante Arbeiten entdeckt. Es ist auch einfach so, dass am Überangebot so einer Jahresausstellung die Begeisterungsfähigkeit leidet. Man ist sehr schnell satt. Wenn ich mir noch eine letzte kritische Bemerkung gestatte, dann die, dass viele Arbeiten in den Kunstklassen schon arg „galeriemäßig“ aussahen. Darüber müsste sich der Galerist ja eigentlich gefreut haben… Vielleicht hänge ich auch nur einer viel zu romantisierenden Vorstellung von der Kunsthochschule als Freiraum nach, an dem neue Formate und andere Kunstbegriffe erprobt werden. Aber klar, als Außenstehende hat man natürlich „gut reden“… Kommen wir also zur dramaturgischen Wendung des Textes. Ich habe nämlich auch die Freiräume noch gefunden.

Man darf eben nicht den Fehler machen und nur in den Kunstklassen nach künstlerischem Nachwuchs suchen (so habe ich früher immer versucht das Überangebot zu kompensieren). Das Programmheft der Hochschule führt auch an entlegenere Stellen. Zum Beispiel in den zweiten Stock, in einen beengten Flur zwischen den beiden großen Gebäudetrakten. Dort wartete ein Projekt mit dem Titel „Postmoderne Zeiten“. Nun weiß ich nicht, ob wir uns überhaupt noch in der Postmoderne befinden oder vielleicht schon in der nächsten Post-, Hyper- oder Megamoderne, aber was da durch den Flur steuerte, erschien mir jedenfalls ziemlich nah am Puls der Zeit.

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In der “Computerabteilung” der HFBK
Foto: Imke Sommer

Ein vollautomatischer Apparat, der aussah wie ein explodierter Computertower auf Rädern. Laut Programmheft das Ergebnis einer Kooperation der Werkstatt Mixed Media, der künstlerischen Telematik und der Computerei der HFBK. Das Gerät hatte die gleiche Breite wie der Flur und war an den Seiten mit Rädern ausgestattet, die an den Seitenwänden entlang rollten. Als Besucherin musste man drüber klettern, wenn man in den anderen Gebäudeteil wollte. Näherte man sich aber der Maschine, die ansonsten ganz allein den Flur auf- und abfuhr, als würde sie die Umgebung scannen, stoppte sie abrupt. Dann starteten aus ihr heraus jeweils eine Projektion an die linke und rechte Flurwand. Auf der einen flimmerten Textfragmente, die mit der aktuellen Debatte um digitale Überwachung und Datenerfassung zu tun hatten. Ich glaube sie waren in der Ich-Form geschrieben, aber es war (zumindest mir) nicht ganz klar, wer eigentlich sprach. Auf der anderen Seite sah man, wenn ich mich richtig erinnere, Bilder aus Überwachungskameras, Programmiercodes und Ähnliches. Auch das war nicht ganz zu verstehen. Doch gerade diese Unsicherheit gegenüber dem digitalen Informationswirrwarr erschien mir sehr aktuell und treffend. Müssten wir nicht genauso verunsichert darüber sein, was all die smarten Geräte treiben, mit denen wir unseren Alltag ausstatten?

Die Maschine in der HFBK bot einerseits ein visuelles Panorama zur aktuellen Überwachungs-Debatte und war zugleich ein höchst eigenartiges, ästhetisches Objekt. Es wucherten Kabel, Prozessorlüfter, Platinen, eine Schreibtischlampe und anderes Gerät. So wild, dass die Struktur für den technischen Laien schon wieder etwas Abstraktes bekam (wie so viele digitalen Geräte, die von ihrer Funktion heute optisch abstrahiert sind). Trotzdem gab es eine ganz konkrete Programmierung, dem das Objekt folgte. Vorgänge und Abläufe, über die man als Betrachterin nur staunte, ohne sie wirklich zu überblicken.

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Foto: Ulf Freyhoff

Ulf Freyhoff und Paul Geisler heißen die Bauherrn des Objekts. Mit Beiden konnte ich nicht direkt sprechen, doch am Eröffnungsabend habe ich einem Vortrag von Letzterem lauschen können. Zumindest ergibt der Google-Fotoabgleich, dass es Paul Geisler war, der vor ein paar Zuhörern zur Datenerfassung der NSA referierte beziehungsweise darüber, was die mit Mathematik zu tun hat (Fragen Sie mich bitte nicht was! Es hat irgendwas mit Wahrscheinlichkeitsrechnung zu tun…). Für seinen Vortrag benutzte Geisler eine alte Schultafel, auf die er mit Kreide Diagramme malte. Von wegen Powerpoint… In eigentlich allen Räumen, die von dem Flur im zweiten Stock abgingen und die offenbar so etwas wie die „Computerabteilung“ der HFBK darstellen, herrschte eine von intensiver Arbeit geprägte Atmosphäre. Irgendwo zwischen Atelier und Hackerworkshop. Überall Monitore, Kabel, Schläuche. Ein kleines Büro war vollgestellt mit alten Monitoren und Kameras. „1985 – A Tribute to Hypercard“ heißt die Arbeit. Überall surren Computer, diverse Leuchten und Lichter blinken und man fragt sich, ist das noch Technik oder schon Deko? Mir schien es jedenfalls sehr lebendig, vielleicht sogar avantgardistisch.

Auch was man im Internet über die beiden Künstler findet, sieht weniger nach klassischem Künstlertypen aus. Freyhoff arbeitet als „Workshop Supervisor“ an der HFBK und hat sich um einige Ausstellungsprojekte in Wilhelmsburg verdient gemacht. Man findet ein Interview in dem er sich kritisch zur IBA äußert. Die Webseite von Paul Geisler sieht aus, als wäre sie seit Mitte der neunziger Jahre nicht mehr angefasst worden, und ich habe mich wirklich lange gefragt, ob sie wirklich von ihm ist. Sie ist so nerdig wie ihr Name: Hirnsohle! Geisler hat sein Kunststudium offenbar abgeschlossen, und außerdem, wie passend, ein Studium der Mathematik. Zudem ist er, das überrascht dann doch, Mitglied von “HGich.T”, einer sehr, sehr merkwürdigen Band. Etwas bizarre, aber gute Kombination! Freyhoff und Geisler erhalten jeweils 3000 Euro.

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Paul Geisler als Barde für HGich.T
Foto: HGich.T Webseite

Auch im Grafikbereich, teilweise auch im Designbereich oder in der Bühnenbildklasse stieß man dieses Jahr auf interessante Arbeiten. Bei letzterer gab es gleich mehrere herausragende und eigenwillige Installationen. Der These vom Niveauverlust an der HFBK muss unterm Strich also entschieden widersprochen werden! Beim Bühnenbildnern jedenfalls fiel mir die anrührende Performance von Angela Anzi ins Auge. Auch hier ging es wieder um Technik. Anzi hat offenbar viel Zeit damit verbracht, absurd anmutende Dinge und Apparate zu schaffen, die sie jetzt unterschiedlich kombinieren kann. Blumentöpfe mit kleinen Motoren, Plastikballons und Plastikkuben, Ventilatoren. Sie lagen verstreut im Raum als Anzi mit der Performance begann. Anzi versetzte einige der Objekte in Bewegung. Sie robbten dann über den Fußboden oder pusteten Luft in die Schläuche und Plastikballons. „Hilfestellungen an Objekten“ heißt die Arbeit und genauso wirkte es. Anzi lief ruhig zwischen den brummenden Objekten hin und her, steckte sie behutsam auseinander und wieder neu zusammen. Als müsste sie den armen nutzlosen Dingen helfen, in der Welt zurecht zukommen. Eine wirkliche Funktion hatten die Dinge nicht. Aber durch den Einsatz von Anzi war man fast dabei, ihnen Mitleid entgegen zu bringen. Mich brachte das beim Zusehen zu folgender Überlegung: Was ist, wenn die Entwicklung, dass wir Menschen uns das Leben mit Allerlei technischem Gerät zupflastern, nicht von Fortschrittsglauben oder menschlicher Hybris getrieben wird, sondern von der Sehnsucht nach Empathie? Wir erschaffen Dinge, damit wir uns anschließend um sie kümmern können… Wo ist mein Tamagotchi?

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„Hilfestellungen an Objekten“ von und mit Angela Anzi
Foto: Robert Schlossnickel

Es gab noch einige weitere sehr vielversprechende Arbeiten in der Bühnenbildklasse. Bei einer Installation von Julia Malgut und Saskia Gottstein musste man als Besucherin über eine Leiter hoch und dann in einen großen Holzklotz hineinrutschen, dessen Innenraum man vorher nicht recht abschätzen konnte. Es wirkte, als ob man anschließend nicht alleine wieder herauskommen würde. Ich musste mich sehr überwinden, zumal immer nur eine Person allein die Holzbox betreten durfte. Drinnen angekommen stand ich dann vor zwei Reihen mit jungen Menschen, die mich unentwegt anstarrten. Sie bewegten sich nicht, nur ihre Augen folgten mir auf Schritt und Tritt. Sehr eigenartig und beklemmend.

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Eingang zur Installation von Julia Malgut und Saskia Gottstein
Foto: Klasse Raimund Bauer

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Foto: Klasse Raimund Bauer

Ähnlich beklemmend war eine Installation, bei der zwei große, lange Gummigurte durch den Raum gespannt waren. Im Grunde nicht sonderlich spektakulär, bis ich entdeckte, dass sie nur über zwei Magnete gehalten wurden. Was bedeutete: Würde jemand versehentlich in das gespannte Band hineinlaufen, würde das Band zusammen schnellen und wahrscheinlich zu sehr bösen Verletzungen führen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das noch gut finde. Ich glaube Kunst muss nicht im wörtlichen Sinne gefährlich sein, um als Kunst gefährlich zu sein. Ich bin aber der Meinung, dass es gut ist in der Kunsthochschule Dinge zu erproben. Die Bühnenbildklasse von Professor Raimund Bauer vermittelte den Eindruck, als herrschte hier die richtige Mischung aus Tatendrang, Experimentierlust und künstlerischer Freiheit. Deshalb gehen 2000 Euro in die Klassenkasse. Vielleicht hat man dann bei der nächsten Ausstellung auch etwas Budget für Sicherheitspersonal und Absperrband…

Anonymus (der oder die Kunstbeutelträgerin)