Von Zelluloid zu Zellulose

In meiner Funktion als anonyme Kunstjury habe ich bisher viele Ausstellungen besucht und mich in Galerien herumgetrieben. Die beiden Hamburger Künstler, die ich heute auszeichnen möchte, entdeckte ich dagegen ohne vor die Tür zu gehen: im Internet.

Einführung und Fundgrube: der Video-Kanal WhiteTube Foto: Screenshot

Einführung und Fundgrube: der Video-Kanal WhiteTube
Foto: Screenshot

Der erste, Karsten Wiesel, betreibt das Videoportal WhiteTube. Kontinuierlich veröffentlicht er dort kleine Dokumentationen aktueller Ausstellungen aus Hamburg und der näheren Umgebung. Er zeigt deren Exponate in ruhigen, unaufgeregten Aufnahmen und führt Gespräche mit den Künstlerinnen und Künstlern. Das macht oft neugierig auf die Ausstellung, hilft beim Einstieg in die jeweilige Thematik und manchmal hilft es auch einfach, zu erkennen, dass ein Ausstellungsbesuch das eigene Interesse verfehlen würde. So oder so ist es ein unglaublich dankbares Angebot, das Wiesel aus eigenem Antrieb und ehrenamtlich betreibt. „Leider viel zu selten“, schreibt er auf Anfrage, meldeten sich Institutionen bei ihm, um Filme in Auftrag zu geben. Diese landeten dann in der Regel auch nicht auf WhiteTube. Was wir also dort völlig kostenlos bewundern dürfen, ist das Resultat von viel unbezahlter Arbeit und unbezahlbaren Engagements für die Hamburger Szene. Mittlerweile ist dabei ein richtiges Panorama des hiesigen Kunstprogramms entstanden, zumindest seines institutionellen Teils. Ein Interview mit dem mittlerweile gestorbenen Bremer Maler Norbert Schwontkowski findet sich ebenso bei WhiteThube wie ein Gespräch mit Peter Piller, dem bekannten Hamburger Künstler und Träger des Edwin-Scharff-Preises. Auch die tolle Ausstellung von Manuel Graf im Hamburger Kunstverein kann man sich dort noch einmal in Erinnerung rufen. Vielleicht profitiert ein solches dokumentarisches Engagement ja einmal von der viel gerühmten mäzenatischen Großzügigkeit der Hansestadt. Verdient wäre es. Hoffen wir einfach, dass noch viele Filme folgen und verbleiben erstmal mit 2500 Euro.

Part of art: Gummibärchen und Selbstironie bei Art City Hamburg Foto: Moritz Herda

Part of art: Gummibärchen und Selbstironie bei Art City Hamburg
Foto: Sinje Hasheider

Auch die Entdeckung des zweiten Preisträgers nahm seinen Anfang im Internet, allerdings schon vor Jahren. Interessanterweise verlagerte sich die Begründung der Auszeichnung im Laufe meiner aktuellen Recherche aber aus dem Internet heraus ins erdige Grün der Stadtgärten. Vor Jahren jedenfalls gehörte ich zu den treuen Zuschauerinnen einer kleinen, im besten Sinne selbstgebastelten Webserie, die das art-Magazin damals veröffentlichte. Sie nannte sich „Art City Hamburg“, was ohne Zweifel ironisch gemeint war. Die Serie nahm aber nicht nur das oftmals großspurige und gerade dadurch eher provinziell wirkende Marketing unserer Stadt aufs Korn, die eigentliche Angriffsfläche lieferte die Parallelwelt der Hamburger Kunststudenten. Den Akteuren nahm man das nicht übel, waren sie doch selbst noch welche. So schrieb die Serie ein weiteres Kapitel der in Hamburgs Subkultur gefestigten Tradition praktizierter (Selbst-)Ironie. Vor zwei Jahren machte Moritz Herda, einer der Macher der Serie, seinen Abschluss an der Hamburger Kunsthochschule und präsentierte damals auch die fertigen Drehbücher für eine kommende Staffel. Nach einer Zeit mehr oder weniger spontaner und improvisierter Dreharbeiten wollte man sich offenbar ein Schritt weit professionalisieren. Daran erinnerte ich mich, als ich nun in Mailkontakt mit Herda trat. Ich dachte: Bestimmt wird es am Geld gelegen haben, dass man bisher nichts mehr gehört hatte von den nun diplomierten Veralberungskünstlern. Da könnte der Kunstbeutel doch etwas Abhilfe schaffen…

„An der Realisierung scheiterte es“, antwortete Herda, „da ich händeringend nach einem Produzenten suchte und keinen fand.“ Das ist nicht weniger schade, aber etwas, dass die Möglichkeiten des Kunstbeutels übersteigt. Was er denn nach seinem Kunststudium so treibe, hakte ich nach. Die Ambitionen als Filmemacher lägen derzeit auf Eis, schrieb er ehrlich. Er habe sie gerade gegen das Gartenwerkzeug eingetauscht, mit dem er die Hamburger „Keimzelle“ beackere. Die „Keimzelle“ ist eines der zahlreichen hiesigen Urban-Gardening-Projekte. Sie arbeitet auf dem Ölmühlenplatz im Karoviertel, wo sie verschiedene Gemüsebeete und Pflanzenkisten pflegt. Worum es ihr dabei auch oder vor allem geht, ist auf ihrer Webseite nachzulesen, nämlich um „Stadtgestaltung von unten“. Im Sinne eines partizipativen und aktivistischen Kunstbegriffs wird diese Form des Engagements seit einiger Zeit auch in der Kunstwelt rezipiert. Gerade erst gestaltete der Berliner Prinzessinengarten das Café der Kunsthalle Baden-Baden, und auf der Berlin Biennale wurde ebenso gegärtnert wie auf Kampnagel. Ob das Kunst war, ein kollektives Erlebnis oder eben Stadtgestaltung ist dann am Ende gar nicht mehr so entscheidend. Außer Frage steht nämlich, dass es gerade in einer kommerzverliebten Stadt wie Hamburg wichtig ist, das Künstler wie Bewohner sich in verschiedener Form für die Gestaltung ihrer Umgebung interessieren und engagieren. Auch gegen Widerstände. Deswegen überzeugte mich der Bogen vom selbstironisch-filmischen Umgang mit vermeintlichen Parallelwelten zu handfester Gartenpraxis. Moritz Herda erhält 2500 Euro – und die Hoffnung auf eine weitere Staffel von „Art City Hamburg“ bleibt.

An der Gestaltung der Keimzelle beteiligte sich erst kürzlich ein weiterer Hamburger Künstler: Graffiti-Legende OZFoto: Keimzelle

Vor Kurzem beteiligte sich ein weiterer Hamburger Künstler an der Gestaltung der Keimzelle: die berüchtigte Graffiti-Legende OZ
Foto: Keimzelle

Anonymus (der oder die Kunstbeitelträgerin)