Carnivore Mischwesen und andere Nomaden

- EUR 3.000.- an Charly Wüllner

Charly Wüllner (*1939) ist lange Zeit CW gewesen, Label und Trademark, mit dem er vorwiegend in den 1980er Jahren in der Öffentlichkeit präsent war. So als er (Öffentlichkeit meinte damals etwas anderes) sein “Evolutionsbüro” auf dem “Marktplatz” projektierte (Ausstellung “Dorn im Auge”, Woche der bildenden Kunst 1982), mithilfe von Brettern und seiner ihm eigenen Verwendung einer Schreibschrift. Seine Intentionen und die seines Umfeldes in jener Zeit können hier nicht referiert werden – nur soviel, dass Wüllner immer eine etwas beobachtende Position am Rand einnahm, wurde doch in seinem Werk nicht zu unrecht eine gewissen Ironie vermutet. Es ist immer Schrift und Bild zugleich, was er verfolgt hat, damals noch in der Form absichtsvoll objektivierender Betrachtungen. Zumindest diese einmal intendierte “möglichkeit und notwendigkeit einer fortgesetzt-schöpferischen haltung” ist er bis heute gerecht geworden. Im Jahr 2007 war im Kunsthaus die ausgedehnte Ausstellung “Die Hamburger Papiere. Die Geistesgegenwart derv Zivilisation” mit über 1.000 Einzelblättern zu sehen.

Mit kurzen Sottisen, Fragmenten und Anmerkungen versehene A4-Bögen stellt er bis heute zu Bilderfriesen zusammen. Da die Bögen auch mit gezeichneten Linien versehen sind, ordnet er diese exakt zu symmetrischen Wandbildern zusammen. Aber es gibt – unabhängig vom Text – immer eine Mikrostruktur dabei, nämlich zarte Umrisszeichnungen, deren Ansatz an Romantiker wie Runge erinnert. Er schafft so Bilder, die eher zurückhaltend im Duktus, deren Mehrschichtigkeit sich erst im Schauen erschließt.

Aktueller Hinweis: “Ein prächtiger Grundstein / verspricht seinem Erdteil / ein äußerst festes Einkommen”, so einer seiner kurzen Texte in seiner aktuellen Ausstellung, die noch bis zum 29. September unter dem Titel “Café Paradox” in der kleinen Galerie Scorpion in der Barmbeker Straße 9 (www.scorpion-galerie.de) zu sehen ist.

 

– EUR 3.000,- an Jutta Konjer

Auch die Künstlerin Jutta Konjer fühlt sich, wenn auch auf andere Weise, Ideen der Romantiker verpflichtet. Hier ist es das Fragmentarische, auch Paradoxe, welches in den Installationen, Material- und Fotoarbeiten zum Ausdruck kommt. So werden Räume an der Wand durch schnelle Kreidestriche angedeutet, der Mantel und der Koffer deuten auf das Flüchtige – nur das Foto mit dem opulenten, aus vielen Einzelteilen bestehenden Bilderrahmen verweist auf etwas anderes, bleibendes (“Vor Türen und Toren”, 2006). Das Fundstück ist oft der Ausgangspunkt der Materialarbeiten, aber insbesondere ihre Stoffarbeiten betonen das Nomadische, auch wenn Format und Umfang sehr groß sein können (“Triumphbogen”, “Haus”, “Elefant”). Ihre schwarz-weißen Fotoarbeiten, oft Landschaften, können dabei auch über ihren Rahmen hinaus auf das Eigenwilligste mit der Wand verwachsen sein (“Steinbeißer”, 2005).

Das Aus-der-Zeit-Gefallene ist ihren Werken augenfällig. Das Ruinöse und Behelfsmäßige erhält bei Jutta Konjer immer die Möglichkeit, auf Historisches zu verweisen und trotzdem nicht bloß Dokument zu sein. Eine vielleicht melancholische Grundstimmung durchzieht ihr Werk – wie auch die Arbeiten, welche sie als Bestandteil von kroko zusammen mit ihrem im letzten Jahr verstorbenen Lebenspartner Manfred Kroboth gemacht hat. Einen Überblick bietet ihre Homepage www.kroko.name/konjer.

Aktueller Hinweis: Im Schauraum in der Schwarzenbergstrasse in Harburg zeigt Jutta Konjer vom 10. – 19. September 2016 neue Arbeiten unter dem Titel “Zeichen und Wunder”

 

– EUR 3.000,- an Benjamin Metzger

Der Maler Benjamin Metzger bewegt sich mit seinen Bildern an den Rändern, so ist man versucht zu sagen. Im ihrem Zentrum steht die chromatisch bewegte Farbfläche, mehr oder weniger kräftig akzentuiert, verweist sie auf nichts anderes als auf sich selbst. Teils sehr starkfarbig, verwischt, in Schichten übermalt oder mit Linien durchzogen wirkt sie oft transparent und plastisch. Seinen eher mittelformatigen Bildern auf Leinwand oder Papier ist dabei immer eine besondere Bearbeitung des Bildrandes gemein. Er kann kontrastreich, wie abgeschnitten oder weich abgedunkelt erscheinen, mit Farbabstufungen oder zusätzlich mit einem oder gar zwei weiteren Rändern, die dementsprechend die Gestalt von Rahmen bekommen können. Metzgers Bilder überraschen durch ihre Spannung zwischen Transparenz und Hermetik, sie bilden Rätsel.

Leider bekommt man öffentlich nicht oft etwas zu sehen von den Bildern, daher soll mein Vorgehen eine weitere Entwicklung anstoßen. Eine sehr kleine Auswahl gibt es auf www.benjaminmetzger.com.

 

– EUR 5.000,- an Corinna Korth

Corinna Korth will die Wölfe in Deutschland wieder einbürgern”, so das Deutschlandradio Kultur in einem Feature vor zehn Jahren. Das Doppeldeutige dieser zunächst etwas absurden Behauptung erschließt sich allerdings erst nach Kenntnis ihres Werks, ist doch die “Einbürgerung” eines canis lupus Gegenstand ihrer Diplomarbeit an der HfBK gewesen (2000). Dieses, nachzulesen in einem kleinen Katalog, geschah mit allem, wovon man heute allerorten hören kann: vorläufige Duldung, Sprachdiplom, Personenfeststellungsverfahren, sogar das Sparkassenbuch – bis hin zur Anstellung als Schafhirte. Folgerichtig gab Corinna Korth kurze Zeit später einen Ratgeber für “carnivore Mischwesen in der zivilisierten Welt” heraus (Jagen leicht gemacht, 2003).

Zunehmend bildmächtiger, technisch ausgefeilter mit größerem Organisationsaufwand und unter Einsatz ihrer Person in Performances, Filmen und Vorträgen befasste sie sich – in sarkastisch überhöhter Mimikri zum Wissenschaftsbetrieb unter Verwendung theatralischer Mittel – mit dem Thema des Mischwesens. Sie gründete das “Institut für Hybridforschung”, welches als Label für ihre künstlerische Arbeit bis heute steht.

Die Präzision und Konsequenz ihres grundsätzlichen Vorgehens dabei ließen einige den Wolf als das ungebrochene “alter Ego” der Künstlerin erscheinen – und dabei ihre Kritik an der “zivilisierten Welt” übersehen. Wie ich denke – ohne das jetzt zu überstrapazieren – hat sie uns mit ihren konzisen, prägnanten künstlerischen Setzungen die erst heute allgegenwärtigen Themenbereichen der multiplen Identitäten nahegebracht und bebildert, vielleicht schon kommentiert. Dass dieses bei allem inhärenten Humor einigermaßen kompromisslos vonstatten geht, versteht sich von selbst. In der Konsequenz zielt ihre Arbeit an der Schnittstelle von Mensch und Natur seit jüngstem auf die Pflanzenwelt  – als Chimäre zwischen Baum und Mensch, wie Corinna Korth es kürzlich auf Kampnagel präsentierte.

 

– EUR 3.000,- an Oel-Früh (Frank Breker, Anna-Carla Brokof, Christopher Müller, Antje Sauer)

Der seit 2006 existierende Ausstellungsraum Galerie Oel-Früh – der Name ist ein Ready-made ihres ersten Spielortes am Brandshof bei den Elbbrücken, soweit ich weiß – “operiert” seit 2014 im Restaurant “Pane e tulipani” am Klosterwall. Das Credo der Betreiber, alle selbst KünstlerInnen, “We love art that appears honest and simple, but still is icomplex in thought” haben sie meines Erachtens erfolgreich mit vielen Ausstellungen unter Beweis gestellt. Dieses hat weniger mit der reinen Zahl der Installationen zu tun, sondern mit einer konsequenten Auswahl der beteiligten KünstlerInnen, die gern auch zu raumgreifenden Aktionen angeregt werden, was in den Räumen am Brandshof seinerzeit geradezu geboten schien, aber auch heute im “Hinterzimmer” des Restaurants funktioniert, wie Veronika Gabel bis vor kurzem mit ihrem rituellen Ort eindrucksvoll gezeigt hat.

Das “Haus Seepferdchen” – eine Hütte auf einer renaturalisierten Brache in Hammerbrook, wunderbar gelegen – ist als ein späterer weiterer Veranstaltungsort leider Geschichte, da die Nutzungserlaubnis abgelaufen ist. Ich sehe diese Hütte aber als Versprechen dafür, einer Präferenz des Nomadischen und Unbehausten nachzugehen, der Kunst eine Platform bei aller Improvisation zu bieten. Hier gebe ich diesem einen Vorzug vor vielem anderen, was ich sehe.

Im September/Oktober 2016 werden Ingrid Scher und Wolfgang Oelze gezeigt, ab November Jana Schumacher und Felix Büchel, alle anderen Daten auf www.oelfrueh.org

 

– EUR 3.000,- für Josephin Böttger

Die Filme von Josephin Böttger nur für sich oder in einer Black Box zu sehen, hieße, sich etwas dabei zu nehmen. Denn wenn man die Möglichkeit hat, sollte man ihre Filme live vor Ort, projiziert auf Wände im öffentlichen Raum verfolgen. Neben der bestechenden Präzision der Bilder lässt einen ihre Komposition und Herkunft, ihre Überblendungen wie auch das Zusammenfügen von Zeichnung und Realbild, das ineinander Verweben technischer Bilder zu erzählerischer Bildebene. Sie arbeitet viel mit Zeitraffer und feststehender Kamera, häufig von stark erhöhter Position; die Zeit spielt in ihren Filmen nicht nur eine starke Rolle, sondern ist übergeordnet, vielleicht sogar das eigentliche Thema ihres Werks.

Der Sound – Geräusch und Musik – sind oft Auftragsarbeiten und mögen in der Tradition der russischen Avantgarde stehen, wie insgesamt einige der Filme in Technik und Aufbau an das Feiern des Neuen Bauens vor hindert Jahren erinnert. Nur eben vom Ende her gedacht, denn am beeindruckensten ist (für mich) ihre Arbeit mit und an Architektur: so begleitet sie den Aufbau der HafenCity mit ihrer Sicht der Dinge, aber ihre Filme sind neben des Abbildens von Prozessen auch Dokumente dessen, was nicht mehr ist oder nicht mehr sein wird: so schliddert etwa ein Einkaufswagen die unverwechselbare Parkrampe des ehemaligen Frappant in Altona hinunter – oder das SKAM erlebt sein eigenes Requiem als Projektion, bevor die “Tanzenden Türme” sich dort breitgemacht haben. Vor ein oder zwei Jahren gab es eine Mehrkanal-Projektion auf den City-Hof-Häusern, deren Schicksal besiegelt scheint.

Davon möchte ich auch mehr sehen, deswegen steht sie hier. Einige Beispiele sind auf ihrer Homepage www.josephinboettger.de zu sehen.

Aktueller Hinweis: Am 22.-25. September 2016 jeweils 17-23 h (am 22. nur abends) zeigt Josephin Böttger ihre neue 4-Kanal-Produktion TOPIA in der Halle 4 am Oberhafen in der Stockmeyerstraße – in der Gleishalle, um deren Zukunft es neuesten Hinweisen nach auch nicht gut bestellt ist.

KBT3 / 05.09.2016