„The Burden of Your Thoughts“

3.000 € für Ida Lennartsson

Ida Lennartsson, “O.T” video still, HD ca 9 min, Japan 2016

Ida Lennartsson, “O.T” video still, HD ca 9 min, Japan 2016

Große Hände aus schwerem Zellan schleift Ida Lennartsson hinter sich her. Mit aller Kraft an einem speziell gefertigten Geschirr ziehend kämpft sie gegen das immense Gewicht ihrer eigenen Skulpturen. Begleitet von einem kratzenden Geräusch schleifen zwei überdimensionale weiße Hände über den Boden und hinterlassen Spuren in der Erde sowie die Erde an den Skulpturen. THE BURDEN OF YOUR TOUGHTS (2013), so der Titel des Videos, zeigt die aktive Auseinandersetzung von Ida Lennartsson mit Auguste Rodins Skulptur LE PENSEUR (der Denker), dessen Handabgüsse sie in Bewegung versetzt. Es ist der Versuch Rodins Denker zu aktivieren und aus seiner kanonisierten und skulpturalen Erstarrung zu befreien, der Versuch ihm die Schwere zu nehmen. Er sei allgemein bekannt als das „Symbol geistiger Schwerarbeit“, schreibt Ursula Panhans-Bühler, und diese würde – dem Topos folgend – vom Bildhauer wesentlich mit den Händen geleistet. Folglich sind es die Hände und nicht der Kopf, die Lennartsson hinter sich herzieht. Die aktive Aneignung durch Handlung bedeutet hier also auch die Beschäftigung mit der Geschichte von Skulptur.

Ida Lennartsson, "The Burden of Your Thoughts“, 2013, video/HD/sound, 5:34 min, loop.

Ida Lennartsson, “The Burden of Your Thoughts“, 2013, video/HD/sound, 5:34 min, loop.

Das Agieren mit dem Objekt ist bezeichnend für Ida Lennartssons Arbeiten. Es birgt unter anderem die permanente Möglichkeit eines Wechsels der Position von Objekt, Subjekt und ‘dem Anderen’ wie Lennartsson es in ihrer Publikation „II+I, I+I+I, I+II, III“ beschreibt. Der physische und teilweise in Videos öffentlich inszenierte Dialog mit den Skulpturen ist wesentlicher Bestandteil im Entstehen dieser. Die prägnanten und unverzichtbaren Markierungen oder Spuren werden den Skulpturen im Umgang mit ihnen zugefügt und umgekehrt von ihnen angenommen.

„Ruins“, installation view / burned clay, grafit, wax, dirt. Installation view INDEX 13, Hamburg Kunsthaus 2013 . Photo: Hayo Heye

„Ruins“, installation view / burned clay, grafit, wax, dirt. Installation view INDEX 13, Hamburg Kunsthaus 2013. Photo: Hayo Heye

Symbolische Qualitäten haben nicht nur jene Handlungen, auch die Symbolkraft der Objekte selbst steht bei Lennartsson zur Disposition. Diese werden im Rahmen unterschiedlicher Installationen jedes Mal anders präsentiert, so dass neue Bilder und Symbole entstehen. Man denke hier an eine Haar-Skulptur, die in Hamburg häufiger zu sehen war. Dieses gehärtete und gedrehte Haar trat wechselnd als Bart, Geweih oder angehobene Beine in Erscheinung. Ida Lennartssons Arbeiten verhalten sich wie ein Rorschachtest, der vor allem mit Freuds psychoanalytischer Schule assoziiert wird.

“O.T”, exhibition view / plaster, plastic hair, varnish, ca 130 x 70 x 40 cm,  Schlafzimmer Sandrock, Hamburg 2014 Photo: Natias Neutert

“O.T”, exhibition view / plaster, plastic hair, varnish, ca 130 x 70 x 40 cm,
Schlafzimmer Sandrock, Hamburg 2014 Photo: Natias Neutert

Lennartssons Arbeiten erzählen von der Konstruktion von Bedeutungen und erscheinen als Prothesen, als Träger von Spuren spezieller Bondage-Knoten oder als Fetisch-Objekt. Ihre Installationen sind geheimnisvoll, die darin aufscheinende Welt ist zerbrechlich und manchmal brutal. Doch diese existenzielle Dimension bleibt nicht unkommentiert, nicht ungebrochen durch Dekor und einen feinen Humor, der sich zum Beispiel in den Sockelkonstruktionen ihrer Arbeiten zeigt. Auch die Skulptur DEAR FREUD von 2011 und die zugehörige Fotocollage O.T. (DESK) ebenfalls von 2011 sind hier beispielhaft. Sigmund Freuds “alte und dreckige Götter”, die als Manuskriptbeschwerer seinen Schreibtisch zierten, sollten auch behilflich sein, die flüchtigen Gedanken zu festigen. So ergänzt Ida Lennartsson eine historische Aufnahme von Freuds Schreibtisch per Collage kurzer Hand um eine gefesselte Penisskulptur, die im Sinne des Rorschachtest Interpretationsspielraum auch für andere Lesarten offen lässt. In jedem Fall grundlegend für Freud.

Ida Lennartsson, „"Dear Freud,“, 2011, clay/spray paint/wood/ ca. 25 x 25 x 30 cm

Ida Lennartsson, „”Dear Freud,“, 2011, clay/spray paint/wood/ ca. 25 x 25 x 30 cm

Ida Lennartsson, "O.T. (Desk)“, 2011, Edited photograph (Original E. Engelman Freuds desk, 1938, Vienna), print, dimensions variable

Ida Lennartsson, “O.T. (Desk)“, 2011, Edited photograph (Original E. Engelman Freuds desk, 1938, Vienna), print, dimensions variable

Ida Lennartsson hat ein großartiges Gespür für seltsam verfremdete, fast surreale Formen und Inszenierungen. Sie verbindet Skulptur und Aktion auf eindrucksvolle und produktive Weise. Als gebürtige Schwedin, die den ersten Teil ihres Studiums in Oslo absolvierte, steht sie hier auch für meinen Wunsch, dass Hamburg stärker von KünstlerInnen mitgeprägt wird, die Erfahrungen aus anderen Ländern und ihren Hochschulen einbringen. Manchmal denke ich auch weitere Deutsche Städte wären schon ein Anfang, um weniger um sich selbst und die ‘Hamburger Schulen’ zu kreisen. Hier ist man doch oft ziemlich unter sich – wie man wohl auch meiner Auswahl ansehen kann. Ida Lennartsson ist gerade aus Japan zurückgekehrt, vielleicht kann das Geld unter anderem helfen hier ihre neuen Ideen zu realisieren.

KBT4