Zum Geistigen in der Kunst

EUR 3.000,- für Dorothea Carl

Dorothea Carl ist Künstlerin als Filmemacherin und Fotografin im ABZ des FRISE-Künstlerhauses. Ihre Arbeitsweise ist eindeutig dokumentarisch, und das heißt für sie: im Geschehen, solange es geschieht.  Ihre Filme sind sowohl als Kurzfilme einzuordnen, sind aber auch von der Länge über eineinhalb Stunden. Ihre Themen sind vom Anlass her unterschiedlich, jedoch haben sie immer den Bezug zum Menschen, in ihren Filmen wird herausgestellt: alles das, was geschieht, geschieht dem Menschen.

Der Kurzfilm “Passagen” (2010) zeigt mit oft stehenden Kameras den Durchgangsverkehr in Hamburg-Harburg als stetigen Strom des Unterschiedlichen, das Durchqueren und Hasten in verschiedene Richtungen, nicht kommentiert. Der Film “Demo_lition” (2011) dagegen zeigt die, wenn mann so will, faszinierende Seite der Gentrifizierung, das Spektakel des Abrisses von Häusern, das die Menschen staunen lässt über die brachiale Gewalt der Maschinen, dem “Rückbau”, der alles dem Erdboden gleichmacht. Hier werden der Montage solcher Bilder Interviews entgegengestellt, Kommentare von Betroffenen und anderen Augenzeugen. Dieses ist auch fast ausschliesslich der Fall, wenn im Film “Persona non data” (2014) vierzehn aus ihrer Heimat geflüchtete Menschen von den Umständen ihrer Flucht erzählen. Der Film spricht über die Aussagen von ihren unterschiedlichen Hoffnungen, Bewertungen ihrer Lage und aktuellen Situation. Dorothea Carl setzt keine effektsteigernden Mittel ein, sondern verfährt in sehr klaren Einstellungen bei ihrer bildnerischen Filmsprache. Die filmische Langzeitstudie “Kurze Zukunft” (2015, 85min.) verfolgt die Entwicklung der Großen Bergstraße in Hamburg-Altona vom Niedergang des Frappants bis zur Einweihung von IKEA. Der Film ist ebenso wie andere nahe an den Aktionen von Abriss und Neubau dran, abgelöst von Interviews mit BewohnerInnen und AktivistInnen. Er erinnert so an die “gescheiterten Aufwertungsstrategien der ersten Fußgängerzone Deutschlands”.

Aktueller Hinweis: Dorothea Carl zeigt im Rahmen des Filmfestes am MO den 3. Oktober um 11 Uhr im METROPOLIS ihren neuen Film “Bodenerhebungen” zum Bau der “Neuen Mitte” Altonas, wie ein ehemaliges Bahngelände von einer Brache zum Park werden soll – und was das für bisherige Nutzer aus Handwerk und Kultur bedeutet.

 

EUR 3.000,- für Matthias Meyer

Matthias Meyers Werk lässt sich hier nur schwer deutlich machen oder näher bringen. Er versucht in seiner Arbeit nichts Geringeres, als das reine Bild mit dem puren Text zu verbinden. So geht er grundsätzlich von der Radikalität der Avantgarde in der Moderne aus – etwa vom Suprematismus und der Negation alles Abzubildenden, oder auch noch viel früher, vom Stammvater aller modernen Poesie Stephane Mallarmé. Eigentlicher Referenzpunkt und Fokus allerdings ist bei Meyer der Film, wobei man nicht sagen könnte, er würde Filme drehen oder Bücher drucken – auch wenn er genau beides macht. Es verschiebt sich nur vieles: der Film kann als Foto erscheinen (A Museum of it´s Memory, 2009) und der Text erscheint in der Langsamkeit einzelner Buchstaben an der Wand. Es hat auch hier viel mit Zeit zu tun und mit unseren Assoziationen dazu, was wir sehen und hören – aber auch mit der Erwartung dessen, was sein könnte. So gibt es Bilder, die kurz vor dem Verschwinden sind und Texte, die sich erst zu konstituieren scheinen. Das erwähnte Foto “A Museum of it´s Memory” besteht aus allen Einzelfotos des Films “La jetée” von Chris Marker – eine hochkomprimierte Verdichtung, die eine chromatische, fast schwarze Fläche hinterlässt. In “The Black Museum” (2006) überarbeitet er einen Dokumentarfilm aus dem Louvre, in er dem alle dort gezeigten Bilder innerhalb der schweren Goldrahmen komplett eingeschwärzt erscheinen lässt. Die Arbeit “Folded Fog” (2008) ist ein Druck, ein mögliches Kinogroßplakat, aber letztlich wieder eine chromatische Fläche – eine graue Nebelwand zum Mitnehmen. Meyer spielt extrem mit Ähnlichkeiten, mit der Form und ihren Erwartungshaltungen. So besteht “The Rising Snow / The Falling Stars” (2009) aus ein und demselben Buch, aber mit zwei Titeln und in beide Richtungen lesbar mit kleinen weißen Strukturen auf schwarzem Grund. Andere Filme bilden auch mehr ab und spielen dabei auf die Romantik des Unbehausten – so die Begegnung zweier Geisterschiffe in “Beaufort” (2004) und das als Archiv angelegte Filmprojekt “Sherwood”, dessen Gegenstand der Wald von Robin Hood ist, als Montage von Filmsequenzen seiner berühmtesten Verfilmungen.

 

EUR 3.000,- für den Kunst-Imbiss

Es ist wohl überflüssig, den Kunst-Imbiss vorzustellen, den Old-School-Imbisswagen, an dem man nichts zu essen bekommt, aber dafür mehr zu sehen; er ist die “ambulante Kunstversorgung” vor Ort.

Die Malerin Katharina Kohl und der Fotokünstler DG.Reiß entwickelten vor jetzt elf Jahren aus einen Aufruf “temporärer Projekte” ausgerechnet für die noch sehr im Entstehen begriffene HafenCity die Idee eines Imbisswagens als mobilen Ausstellungsraum. Und als der Wagen dort stand auf der Baustelle – umgebaut, aber selbst aus der Nähe noch ein Imbisswagen – schien es tatsächlich wie ein Versprechen zu sein, denn das Terrain war noch deutlich menschenleer. Aber die Beteiligung der Künstlerschaft ließ nicht auf sich warten. Denn der Wagen, man muss es nicht betonen, ist eine Metapher für den als prekär bekannten Künstler, ein eingehendes Bild – und Kommentar zugleich auf den Markt, wenn auch ein ironisch freundlicher auf dessen Intransparenz.

Auf eine Verleihung eines Preises (Initiative “Land der Ideen” 2011) folgte der unvermutete Zwischenfall, der das Ende des Kunst-Imbisses hätte bedeuten können: bei einem Brandanschlag wurde der Wagen und alle darin sich befindenden Kunstwerke zerstört. Katharina Kohl und DG.Reiß gaben allerdings die Idee nicht auf, und nach einer erfolgreichen Spendenaktion konnte ein Jahr später ein neuer Wagen, der “brandneue” Kunst-Imbiss eröffnet werden. Dieser ist seitdem weiterhin unterwegs, zusammen mit Kunstarbeiten weitgehend Hamburger Künstler, die den Betreibern vertrauen. Mag einigen die Form verstaubt erscheinen, ist es doch immer das Nahebringen von Originalen, das den Wert der Idee des Kunst-Imbisses auszeichnet. Dafür – verbunden mit der Hoffnung, dass er auch ungewohnte Wege gehen mag – zeichne ich ihn und die Betreiber hier aus.

 

EUR 3.000.- für Sylvia Schultes

Sylvia Schultes hat immer schon mit dem Ornament und dem Raum gleichzeitig gearbeitet. Dieses geschah – und geschieht – längere Zeit über die Malerei, über die oft starkfarbigen Darstellungen von Mustern und Gitterstrukturen, von Clustern und Fraktalen im Bild. Ausgeführt werden diese teils mit Verwischungen, die das Flüchtige betonen, aber auch die Malerei selbst herausstellen – teils aber auch sehr präzise und wie ausgeschnitten. Die Farbe ist hier nicht Dekor, aber sie spielt damit. Gitter und Raster spielen in ihrer malerischen Arbeit eine primäre Rolle des Verdecken und Verdichtens von Flächen und Punkten im Kontrast.

Ihre Weise, Bilder zusammenzustellen – also auf der Wand zu Friesen zu hängen und diese selbst zum Bildträger werden zu lassen – wird in ihren späteren Lichtobjekten vollends hervorgehoben. Die mit Gläsern und anderem Material gebauten Leuchtkörper (“Morphologische Fragmente”) erhellen den Umraum und versehen ihn mit Schattenspielen. Hier sind zweierlei: das Objekt und seine Projektion, es gibt durch Einschnitte klare Verläufe des Lichts und verschlungene, ornamentale Lichflecken auf der Wand. In anderen Raumarbeiten setzt Schultes unterschiedlich strukturierte Wandmalerei ein: Astwerk wird als Schattenspiel eingesetzt, vor wiederum wie getuscht erscheinenden gemalten Schraffuren. Zusätzlich gibt es Verdichtungen und Überlagerungen, wenn sie sowohl Licht als auch Wandmalerei einsetzt; hier “stören” sich die Strukturen gegenseitig und führen zu etwas Neuem. Sylvia Schultes denkt in der Malerei über das Licht – und ihre Lichtinstallationen führen sie zur Malerei.

 

EUR 3.000,- für Almut Linde

Almut Linde ist damit bekannt geworden, dass sie sowohl Radikalität als auch Schönheit in ihrer Arbeit ernst nimmt – und das heißt, nicht das eine gegen das andere ausspielen zu wollen, oder das eine zugunsten des anderen aufzugeben. Sie geht installativ vor, das heißt, sie nutzt vorhandene Räume und Orte – sowohl für Ausstellungen als auch für Sets ihrer Fotografien, sie arbeitet dabei skulptural, mit Bildern und Sound. Ihre Rückbezüge sind vielfältig und reichen von der Aufladung des Materials – auch im Sinne von Fundstücken – über Raumkunst und Farbfeldmalerei insbesondere auf das Formenrepertoire der Minimal Art. Hier nutzt sie den Begriff selbst in veränderter Form für die Betitelung ihrer Arbeiten: “Dirty Minimal” steht für vereinfachte Form – aber hier jene, die sich nicht länger unschuldig in einer ästhetischen Selbstbezüglichkeit befinden kann, sondern immer auf eine Gesellschaftsbezug verweist.

Almut Lindes Arbeitsweise ist so unterschiedlich, wie Ort, Bezug und Inhalt es erfordert. So zeigt eine über 10m lange Leinwand horizontale, malerische Spuren, die sich als Flecken und Reifenspuren herausstellen; der dem zugrunde liegende Kontext, die Rückstände aus einer Mineralöl-Raffinierie sind letztlich erst über Angaben zum Material erfahrbar und steuern so die Wahrnehmung (Dirty Minimal #10.1). Funktionale Prozesse werden zur Geste künstlerischer Formfindung. Oder aber das Material selbst greift in die ästhetische Wahrnehmung des Betrachters ein, wie im Fall der sehr grossen Leinwand, deren dunkelrote Farbe eben keine Farbe ist, sondern sich als Schweineblut erweist. Eine Fotoarbeit (D.M. #52.2) zeigt eine Landschaft, mit dräuenden Wolken und wogenden Feldern, im Vordergrund ein Mann in Rückenansicht, ein Soldat im Tarnanzug. Der kunsthistorische Bezug zum Romantik-Kontext ist offenbar, wird aber durch Lindes weitere Angaben, der Soldat sei in einer Übungspause aufgefordert worden, die Landschaft zu betrachten, krass konterkariert. Insbesondere ihre als fiktiv angelegte und letztlich dokumentarisch zu Ende geführten Untersuchungen der “Object Art Statements” sind Beispiele für ihr künstlerisches Vorgehen, Menschen als Individuen oder als Gruppen an der Fabrikation des Kunstwerks entstehen zu lassen. Almut Lindes Arbeit mit und an der Kunst hat als Zielpunkt den gesellschaftlichen, also politischen Kern. Zu keinem Zeitpunkt wird dieser flach, illustriert oder bloß anekdotisch, sondern bleibt hart und unverdaulich.

KBT3 / 20.09.16