Nachgefragt – Alice Peragine

KBT4: Ich bringe Ihre Abschlussarbeit mit dem Begriff ‚Social Practice‘ in Verbindung, aber auch andere Ihrer Aktivitäten könnte man so deuten. Ist dieser Begriff für Sie überhaupt relevant oder sehen Sie Aspekte Ihrer Arbeit, die man entsprechend interpretieren könnte, eher als ein kuratorisches Anliegen, wie es vielfach im Rahmen von ProduzentInnenräumen praktiziert wird?

 AP: Ja genau dieser Begriff ist sehr relevant für mich. Im Zuge meiner schriftlichen Diplomarbeit ist ja auch die beiliegende PUBLIC ATION herausgekommen. Dies war ein Versuch, Referenzen, Inspirationen und Recherchen assoziativ zu versammeln und zugänglich zu machen.
Zugänge und Schwellen (unsichtbare und sichtbare) sind sicherlich auch Fragen die mich im Zusammenhang mit „Pit Stop for a Dream sehr“ beschäftigen. Das Radio Radio Archipel mit dem Kiosk operiert daher in der Strategie Gegenläufig  zu den Arbeiten Bodies and Barriers (Poolhaus) oder Soft Core Protection Procedure (Rathausmarkt) und Soft Core Audio/Visual Room (Galerie Conradi), verhandelt aber ähnliche Fragen, nur eben von der anderen Perspektive…
Im einführenden Text meiner Diplomarbeit „On Water“ versuche ich auch meine Praxis zu erklären und vom Kuratorischen abzugrenzen. Gastfreundschaft/ Freundschaft, Nachbarschaft, Komplizenschaft, Gemeinschaft – dies alles sind Konzepte an denen ich mich entlang hangle.
Kunst als sozialer Raum, wie bei Nina Möntmann beschrieben, sind definitiv Vorbilder (z.B. Rirkrit Tiravanija, Martha Rosler)

KBT4: Was bedeutet der Begriff ‚Social Practice‘ gegebenenfalls für Sie? Verstehen Sie ihn als künstlerische Strategie oder sogar als ein eigenes Medium wie die ‘Social Practice’ teilweise auch diskutiert wurde?

AP: Ich bin mir nicht ganz sicher ob ich mich da für die ein oder andere Kategorie entscheiden kann und möchte. Das Radio war ein Experimentierfeld um diese Fragen durch die Praxis besser verhandeln zu können. Im ganzheitlichen Sinne, spielen für mich innerhalb sozialer Praktiken viele unterschiedliche Komponenten/Medien/Dinge eine Rolle. Ich wollte einen Raum und eine Situation schaffen, die eine etwas andere Art des Zusammen Seins schaffen kann. Durch ganz gezielte ästhetische Gestaltung (Licht, Ort, Sounds, Menschen, Gerüche)  entsteht ein Setting was allein dadurch bestimmte Handlungen und Begegnungen ermöglicht, ja sogar vorgibt. In gewisser Weise ist in diesem Moment der kuratorischste Aspekt denke ich. Gastgebende und Festliche Praktiken funktionieren hier dennoch genauso. Ich würde mich also eher dort zuordnen denke ich.
Ein Beispiel für die Situation vor Ort. Durch das Medium des Sounds, der permanent einen zentralen Konzentrationspunkt vorgab, war die Stimmung auf dem Archipel konzentrierter und verbindlicher. Man war Teil eines Studios und dadurch auch potenziell Mitgestalterin (der Speisen und Sounds). Und die Menschen die ich dorthin eingeladen hatte, bildeten den Kern für diese Praktiken… Andere Besucher vor Ort waren aber eingeladen sich spontan einzubringen, durch das Zubereiten des Essens z.B.

KBT4: Haben Sie vorher schon Materialien und Requisiten Ihrer Performances unabhängig von den Aktionen inszeniert wie es jetzt bei Conradi der Fall war? Wird das ein Weg sein, den Sie weiterverfolgen?

AP: Für mich sind die Materialen und Objekte schon immer wesentlicher Bestandteil der Performances. Mich interessiert der Übergang von Körper zu Objekt sehr, daher betrachte ich die Kostüme als genau diese Grenze;  Die Flexileinen und Walkie Talkies z.B. deuten bestimmte Handlungen an. Die Objekte transportieren also bereits etwas Performatives in sich.
Für mich ist „Soft Core“ mit den beiden Teilen (Protection Procedure und Audio/Visual Room) eine Auseinandersetzung in unterschiedlichen Materialisierungen. Das Audio/Visual Room fungiert als Kontrollraum und Schaltzentrale zur Protection Procedure auf dem Rathausmarkt.
Die Räume geben allein durch ihre Funktion schon viel vor: Die Galerie als Privatraum der unzugänglicher aber kontrollierbarer in seiner Gestaltung ist. Der Rathausmarkt als Öffentlicher Raum der sichtbar und zugänglich, aber eine Hochsicherheitszone ist.
Letztendlich verstehe mich nicht als reine Performance-und Videokünstlerin. Die Fragen und Themen meiner Auseinandersetzung geben oftmals bereits eine gewisse Form und auch das Medium vor. Die Uniform, als textile Passform am Körper und die Ausrüstung am Gürtel wie Flexileine (als Substitut einer Waffe), Taschenlampe und Funkgerät waren für diese Arbeit ausschlaggebend.
Die Projektion der Aramidstruktur einer Schusssicheren Weste in der Galerie, verweist wiederum auf die Waffe als potenzielles Instrument der Gewaltausübung. Durch das performative Element der Uniform und dem Narrativ was sie repräsentiert ist, dieses Potenzial immer ein Teil von ihr. Die Frage nach unterschiedlichen Formen der Gewaltausübung und die Gewänder, in denen sie erscheinen, ist eine Wesentliche für diese Arbeit.
Ob ich weiterhin mit Objekten und Props gesondert von der eigentlichen performativen Handlung umgehen werde, möchte ich jedenfalls nicht ausschließen.