Mich hat es sehr erstaunt, als ich im Sommer einen Anruf der Kulturbehörde bekam, und mir ein Angebot gemacht wurde, das ich nicht ablehnen konnte …
Nun denn, in Anbetracht des kompletten Kulturlebens der Stadt ist mein Urteil so objektiv, wie ich ein mündiges Subjekt bin.
Da bei den meisten regionalen und überregionalen Stipendien meist junge, gut vernetzte Leute bevorzugt werden, habe ich mich in ganz anderen Richtung umgesehen und mein Augenmerk auf nicht mehr ganz so junge Künstlerinnen und Künstler gelegt, die trotz ihres langjährigen Schaffens kaum bzw. absurderweise nach wie vor nicht von ihrer Kunst leben können.
All jene, alle so um die 40, haben sich schon lange um die Hamburger Kunstszene und die Hamburger Kunst verdient gemacht. All jene sind oft in einer schwierigen Situation. Von den jüngeren Kollegen werden sie oft als etabliert missverstanden und im selben Rutsch nicht in deren Aktivitäten miteinbezogen. Auch bei den Galerien und Institutionen der Stadt haben sie einen schweren Stand, da diese meistens nach ‚Frischfleisch‘ oder großen und vermeintlich sicheren Namen gieren. Und zu guter Letzt sind diese Künstlerinnen und Künstler dann doch noch zu jung, um mit großem Tammtamm und Trara wiederentdeckt zu werden – sie waren ja aber auch nie ‚weg‘. Zum Glück!
Ein weiterer Faktor bei meiner Auswahl war, dass heutzutage meistens nach nacherzählbaren Konzepten und Theoriegebäuden verlangt wird, wenn es um Stipendiumsvergaben geht. Oft scheint es mir, als ob Kunst dann nur noch zur Illustration da wäre und all jene, die noch idealistisch auf dieselbe vertrauen und bereit sind, sich ihr auszuliefern – vor allem auch wenn sie klassische Ausdrucksformen wie Malerei oder Fotografie benutzen –, gern als reaktionäre und ewiggestrige Substanzialisten geschmäht werden.
Dem Trugschluss, dass nur von Interesse sei, was möglichst gegenwärtig oder ›hip‹ ist, gilt es entschlossen entgegenzutreten. Gerade, weil die sogenannte kontemporäre Kunst sich leider zu oft als angepasst und systemkonform entpuppt und am nächsten Morgen zumeist schon ziemlich alt aussieht.
Viele der von mir berücksichtigten Menschen haben über ihr eigentliches Werk hinaus noch diverse andere Aktivitäten vorzuweisen, haben Gruppen gegründet, organisieren Ausstellungen, betreiben Ausstellungsräume oder sogar Galerien und tragen dadurch dazu bei, dass Hamburg eine lebendige, unangepasste und unberechenbare Kunststadt bleibt.
Weiterhin möchte ich einige Orte, Initiativen,Institutionen und Personen fördern, die sich zum Teil schon seit Jahrzehnten in Hamburg behaupten und für ein soziales, politisches und kulturelles Leben abseits von Verwertbarkeit und Spektakel mehr als wichtig sind:
Die Rote Flora gibt es nun seit 25 Jahren, den Golden Pudel Club seit über 20 Jahren, und beide haben es geschafft, bis heute unangepasst und glaubwürdig zu bleiben. Sie bieten vielen Menschen in Hamburg die Möglichkeit, andere und überraschende Dinge zu erleben und aktiv mitzugestalten. An diesen Orten scheint es möglich, von Utopien zu reden und diese, manchmal auch nur für eine Nacht, zu leben oder für eine Weile zu ihnen zu tanzen. Das Schwabinggrad Ballett wähle ich stellvertretend für die diversen Bewegungen in der Stadt, die sich mit den herrschenden Verhältnissen nicht zufrieden geben und diese mit künstlerischen Mitteln herauszufordern versuchen.
Wenn bei manchen dieser Gruppen die Kunst nur als Mittel zum Zweck (für das sogenannte „Politische“) benutzt wird und es dann meistens zwar gut gemeint und stadtpolitisch oft auch toll ist, künstlerisch aber eher uninteressant bleibt, scheint bei den drei genannten ‚ Institutionen‘ doch eine gewisse Sprengkraft vorhanden.
Dann möchte ich auf die Trommelstraße 7 auf St. Pauli hinweisen, wo durch, mit und über die Kunst eine Möglichkeit aufscheint, ein anderes Leben zu leben, Kunst und Leben vielleicht doch noch in Einklang zu bringen. In der Verknüpfung eines Ausstellungsraumes, einer Bibliothek, diversen Ateliers, des 8. Salons und einer Galerie entstehen dort offene und sich ständig bewegende Plattformen, die sowohl für die dort ‚arbeitenden‘ Menschen (eigentlich ist ja gerade keine schnöde ‚Arbeit‘, die dort und auch sonst bei jeder künstlerischen Tätigkeit geschieht) als auch für die Besucher, die vielmehr zu aktiven Teilnehmer werden, immer neue Situationen und Gedanken hervorzubringen im Stande sind.
Zuletzt möchte ich noch zwei Personen hervorheben, ohne welche Hamburg definitiv ein sehr viel uninteressanterer Ort wäre. Sowohl Nora Sdun als auch Roberto Ohrt sind schon lange in der sogenannten kulturellen Sphäre der Hansestadt (und darüber hinaus!) tätig.
Hier nun aber endlich die Gebeutelten:
// Dirk Meinzer erhält 1.000,00 EUR
Laut Wikipedia ist er ein postkonzeptueller Künstler, sein Werk besteht aus Malerei, Zeichnung, Objekten, Performances, Installationen, Büchern sowie Assemblagen mit organischem Material wie Teilen von Tieren, Lebensmitteln oder Fäkalien. Zudem ist er Teil der Künstlergruppe „friends and lovers“ und hatte zeitweise einen Lehrauftrag an der HfBK inne.
// Carola Deye erhält 1.000,00 EUR
Sowohl ihr Werk als auch ihr Engagement bezüglich des Nachlasses der vor 2 Jahren verstorbenen Künstlerin Helena Huneke schätze ich sehr. Auch sie Teil von „friends and lovers“.
// Martin Scholten erhält 1.000,00 EUR
Er bewegt sich auf seinen Bildern im abstrakten Raum und stellt unter anderem mittels selbstgebauten Malmaschinen seine, durch scheinbar freischwebende Farblinien und Geflechte gekennzeichneten Gemälde her.
// Miguel Martinez erhält 1.000,00 EUR
Als Photograph hat er ein unbestechliches und zudem sehr gutes Auge, ihm entgeht so gut wie nix bei seinen Streifzügen durch die Stadt. Man könnte ihn in der Tradition von Weegee sehen, als einen visuellen Stadtschreiber, der mit seiner Kamera festhält, was sich auf und unter den Straßen der Stadt zuträgt. Seine Fotos sind auf seiner Flickr-Seite zu sehen und er hat an zahlreichen Gruppenausstellungen in und außerhalb von Hamburg teilgenommen.
// Henning Kles erhält 1.000,00 EUR
Schon seit Jahren als Maler und mittlerweile auch als Professor an der HAW tätig, umkreisen seine Bilder das Unheimliche und den langsamen Abschied von der Illustration hin zum Bild.
// Sascha Schäfke erhält 1.000,00 EUR
Er ist Maler, Filmemacher und Musiker. Seine für’s Internet selbstproduzierte Serie „Creme brulée“ versucht sich an der Herkulesaufgabe, so etwas wie die durchgeknallte BBC-Serie „The Mighty Boosh“ auf Deutsch neu zu erschaffen – bisher noch mit ungewissem Ausgang.
// Alex Sollmann erhält 1.000,00 EUR
Künstler und Grafiker, Illustrator unter dem Pseudonym c.i.alex, auf eine Art art-director des Golden Pudel Club. Er ist verantwortlich für den Großteil der Flyer und Poster des Clubs und hat dazu unzählige Plattencover und Bühnenbilder gestaltet. Seine Werke wurden unabhängig ihres Gebrauchswert schon in kleinen Galerien in Hamburg gezeigt. Ausgehend von Porträts der im Pudel auftretenden Künstlern hat er sich immer tiefer durch das Stilwirrwarr der Moderne (sowie seiner eigenen Handschrift) gezeichnet und überrascht jeden Monat auf’s Neue mit garantiert jeglichem Kommunikationsdesign unwürdigen Werken.
//Nora Sdun erhält 1000.- Euro
Sie hat sich schon sehr lange um das kulturelle Leben der Stadt verdient gemacht. Sei es wie in den 00er Jahren mit der Schaufenstergalerie Trottoir auf St.Pauli oder mittlerweile mit der Galerie Dorothea Schlüter, welche sie zusammen mit Sebastian Reuss und Gor Zanki leitet. Stets kümmert sie sich darum, sowohl jungen als auch vergessenen Positionen einen Raum zu bieten. Darüber hinaus ist sie mitverantwortlich für den Textem Verlag und sitzt auch in der Redaktion der mittlerweile weit über Hamburgs Grenzen hinaus bekannten Kulturzeitschrift “Kultur und Gespenster”.
// Roberto Ohrt erhält 3.000,00 EUR
Der promovierte Kunsthistoriker Ohrt steht wie kaum ein anderer in Hamburg für eine kompromisslose Haltung mit einem präzisen und unbestechlichen Auge. Statt sich einer akademischen Laufbahn zu widmen, war er stets an künstlerisch-sozialen Gegenbewegungen beteiligt – von den Wohlfahrtsauschüssen über die Akademie Isotop bis hin zum 8. Salon, wo er heute seine private Bibliothek zu einer öffentlich frei zugänglichen Präsenzbibliothek umgewandelt hat. Darüber hinaus ist er eine treibende Kraft innerhalb der Forschungsgruppe Mnemosyne, die für 2015 anscheinend plant, ihre weit über die Bildanalyse der abgebildeten Werke hinausgehenden Ergebnisse in einem umfangreichen Buch zu veröffentlichen.
// Thomas Schumann erhält 3.000,00 EUR
Als Künstler bewegt er sich quer durch die verschiedenen Medien, sucht sich das jeweils passende für seine Projekte heraus. Sowohl mit Kurzfilmen, Skulpturen als auch Zeichnungen, Malerei und raumgreifenden Installationen scheint er sich jedes Mal neu zu erfinden. Seit etlichen Jahren tritt er zudem als Ausstellungsmacher in Hamburg in Erscheinung: u.a. war er maßgeblich am „ding dong“-Festival (2006) beteiligt. Momentan betreibt er zusammen mit dem Künstler Henrik Malmström die Müllkellergalerie – beheimatet in einem tatsächlichen Müllkeller, der sich unregelmäßig für jeweils einen Abend in eine Galerie verwandelt und unbekannten wie auch schon etablierten Künstlerinnen und Künstlern eine etwas andere und vor allem unprätentiöse Plattform bietet.
// Timo Roter erhält 6.000,00 EUR
Roter scheint noch an das Revolutionäre sowohl in der Malerei als auch an sich zu glauben. Er erhält die Summe auch stellvertretend für alle Künstle,r mit denen er sich das Atelier in der Trommelstrasse 7 teilt. Dort wird tatsächlich noch mit Vehemenz der Pinsel geschwungen, ohne Angst vor Fehltritten oder Materialermüdung.
Darüber hinaus ist er Hamburgs Mann in Manila. Er pendelt regelmäßig zwischen beiden Städten und hat in den letzten Jahren mehrmals in Manila Hamburger Ausstellungen organisiert sowie eine Gruppe junger, philippinischer Künstlerinnen und Künstler ermöglicht, in Hamburg auszustellen. Für 2015 arbeitet er an einem Residency-Programm, das sowohl auf den Philippinen als auch in Hamburg den kulturellen Austausch mit dem jeweils anderen Land durch einen zeitlich begrenzten Aufenthalt ermöglichen soll.
// Guntram Krasting erhält 10.000,00 EUR
Er ist freischaffender Photograph und Regisseur. Seine Bilder z.B. aus Indien kenne ich schon lange und sie üben eine große Faszination auf mich aus. Sie gehen weit über die oberflächliche Faszination des exotischen Aufnahmeortes hinaus. Jedes dieser Bilder scheint seine eigene Geschichte, seinen eigenen ‚Film‘ in sich zu tragen. Leider existieren sie bisher nur digital. Er plant ein narratives Fotobuch, bestehend aus Zufallsmomenten, fotografiert in einer ländlichen, indischen Dorfgemeinschaft. Dabei soll aus persönlichen Kommentaren der einzelnen Protagonisten in einem beliebigen Zusammenhang eine fiktive Storyline entstehen. An einem begleitendem Kurzfilm arbeitet er auch.
Darüberhinaus plant er schon lange einen surrealen Kurzfilm, der seine Protagonisten, sich an Homer anlehnend, auf eine ungewisse Reise durch die Strassen Hamburgs schickt und zu welchem er Story und Drehbuch verfasst hat. Auch das soll 2015 Wirklichkeit werden.
// Schwabinggrad Ballett erhält 1.000,00 EUR
Zuerst fiel mir das Schwabinggrad Ballett auf einer Demo vor ein paar Jahren auf: eine kleine Gruppe, die, als Spielmannszug verkleidet, versuchte, sich durch eine von der Polizei abgesperrte Straße zu ‚musizieren‘. Dabei entstand eine neue Situation, mit der sowohl die Beamten als auch die eigentlichen Demonstranten ihre liebe Mühe hatten, umzugehen. Wie heißt es so hübsch: ein „aktivistisch künstlerisches Kollektiv aus Hamburg, das jenseits ritualisierter linker Protestformen unerwartete Situationen herstellt“ …
// Rote Flora erhält 4.000,00 EUR
Seit nunmehr 25 Jahren besteht die Rote Flora und dank ihr scheint das Schanzenviertel noch nicht vollständig ausverkauft. Das „Archiv für soziale Bewegung“ sowie die Siebdruckwerkstatt sind dabei nur zwei von vielen Gründen, diesen Ort zu besuchen und zu erhalten.
// Golden Pudel Club erhält 10.000,00 EUR
Der Golden Pudel Club steht seit über 20 Jahren quer zum Establishment und kämpft mit Hilfe von Ausstellungen, Konzerten, Lesungen und natürlich Tanz- und Nichttanzveranstaltungen für eine andere Art von Kultur, Kunst und Spiel. Einer der wichtigsten Treffpunkte in Hamburg für Künstler, Musiker und Menschen. Sogar eine eigene Kunstmesse fand dort bereits mehrmals statt: die Pudel Art Basel! Im Augenblick scheint der Fortbestand des Clubs allerdings durch einen Streit der Eigentümer gefährdet und so benötigt der deswegen gegründete Verfüge e.V. (Pudel Verein für Gegenkultur e.V.) jede erdenkliche Unterstützung, um Schlimmeres zu verhindern. Stellvertretend für den Golden Pudel Club erhält der Verfüge e.V. die Summe.
// 8. Salon erhält 5.000,00 EUR
Der 8. Salon ist ein selbstorganisierter und von allen Beteiligten selbstgetragener Verein, der sich als interdisziplinär aufgestellte Plattform kultureller Praxis für die Produktion, Distribution und Präsentation von Filmen, Texten, Kunstwerken, Büchern und Zeitschriften versteht. Er befindet in einer ehemaligen Bücherhalle, in der nun Ausstellungen stattfinden. Regelmäßig gibt es Filmabende, Lesungen und Konzerte, auch trifft sich die Forschungsgruppe Mnemosyne wöchentlich im 8. Salon, stets auf den Spuren der Geheimnisse des Bilderatlas von Aby Warburg.
Einige Menschen würden sich über eine erklärende Erläuterung freuen, wie es zu diesem Verhältnis kommt:
Summe der Zuwendungen an Künstlerinnen = 1000,- €
Summe der Zuwendungen an Künstler = 33.000,- €
Ich kann mich Burk Koller nur anschließen, das ist wirklich skandalös. Hamburg ist voller toller Künstlerinnen und interessanten weiblichen Kulturschaffenden. Lediglich zwei ( von mir sehr geschätzte, tolle) Frauen, die jeweils aber nur 1000 € bekommen, während die gleich bewerteten Männern 3000/ 6000/ 10000 € Beträge erhalten, ist ein trauriger Spiegel des Kunstmarkts und macht das Ganze kein bisschen besser. Es ist schlimm, dass öffentliche Gelder so verwendet werden. Reicht es nicht schon, dass 85 % der Einzelausstellungen in zum Beispiel der Hamburger Kunsthalle von Männern
sind, und 80 % der von Galerien vertretenen Künstlern männlich? Muss man den Frauen dann auch noch auf Stipendienebene eine reinhauen? Es wäre schön, wenn man gerade mit öffentlichen Geldern mal daran arbeiten würde, dass Deutschland nicht diesbezüglich das rückständigste Macho-Land Europas bleibt… Verärgerte Grüße aus Norwegen inklusive Zweifel an dieser Einrichtung des Kunstbeutels, Verena Issel
Auch ich kann mich meinen Vor-Kommentator/innen nur anschließen. Das Ganze wirkt so zynisch, dass ich es ganz kurz für eine parodistische Inszenierung einer Fördergeld-Vergabe gehalten habe, aber es geht ja um echtes Geld. Es ist nicht nur die beispiellose Ignoranz gegenüber den vielen großartigen Künstlerinnen dieser Stadt, was schon ausreichen würde, aber es geht um mehr: Das Austeilen von Geschenken nach dem Kumpel-Prinzip führt direkt ins finstere Mittelalter des Kunstbetriebs, falls wir da nicht schon längst drin sind. Die eigentlich gute, zumindest unkonventionelle Idee des Kunstbeutels, wird auf diese Weise gleich vom zweiten Träger (denn daran, dass es ein “er” ist, dürfte wohl kein Zweifel bestehen) gegen die Wand gefahren.
Als der Kunstbeutel eingeführt wurde, war ich sehr gespannt auf dieses offen angelegte Experiment, mit dem die Kulturbehörde auf mal unkonventionelle Weise Mut in der Vergabepraxis ihrer Mittel beweisen wollte.
Die Vergabeverfahren bspw. in Sachen Programmförderung, Projektförderung oder auch für die Hamburger Arbeitsstipendien haben schon verschiedene Änderungen in ihren Modalitäten erfahren – oder auch bunt schillernde Blüten getrieben. Ausdruck auch konträrer und mitunter impulsiv geführter Diskussionen. Doch gut, dass nicht immer auf einem Status Quo beharrt wird, auf einem „Das machen wir schon immer so!“
Seit 2013 also das Klappern mit einem kleinen, aber feinen Geldsäckel um „deutliche Impulse an die bildende Kunst im Raum Hamburg“ zu geben.
Ich fragte mich bei der ersten Benennung des Beuteltiers und mit dem Blick auf die Modalitäten, ob hier bestimmte Kreise wieder um sich kreisen werden?!
Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne: So waren 2013 in jedem Fall Entdeckungen dabei, Menschen, ihre Projekte, Ideen, Kunst, die mit Hilfe des Kulturbeutels zu Recht gefördert wurden.
Die neuerliche Ausschüttung des Kunstbeutelträgers 2014 löst – auch zu Recht – eine Debatte über Geschlechterverhältnisse in der Vergabe aus.
Mit dem aktuellen Bericht des Kunstbeutelträgers 2014 muss ich meine eigene Eingangsfrage offenbar jedoch leider mit einem deutlichen „Ja“ beantworten. Ja, man kreist um sich!
Wahrscheinlich ist das ein zutiefst menschliches Verhalten und im besten Falle das, was man unter Netzwerk versteht, wenn Menschen, die sich kennen, einander helfen, sich in ihrer Arbeit unterstützen und auch im wahrsten Sinne des Wortes „wert-schätzen“.
Schade nur, dass das Komitee, das 2013 und 2014 Vorschläge für den Kunstbeutelträger machte, bis auf wenige Ausnahmen identisch geblieben ist.
Sonst hätte vielleicht ein neues Beuteltier mit seiner Spürnase in einem anderen hybriden, aufregenden Kunstgeflecht dieser Stadt geschnüffelt, andere Trüffel mit unverwechselbarem Geruch hinter noch verschlossenen Türen in den Ateliers dieser Stadt aufgespürt.
So drängt sich mir jedoch unweigerlich der Begriff Stallgeruch auf:
Wenn ehemalige Komiteemitglieder im darauffolgenden Jahr die Preisträger sind (auch wenn sie sich mit Sicherheit sehr verdient gemacht haben! Deshalb sollten sie ja wohl vorher beratende Funktion innehaben), wenn es lokale Ballungen gibt, bestimmte Namen auf der Liste hier, im Ausstellungsverzeichnis dort und dann auch noch da im Impressum auftauchen, dann komme ich a) irgendwie nicht um den Begriff “Filz” statt Netzwerk herum und b) frage ich mich ernsthaft, ob der Vorgang den Beteiligten nicht unangenehm ist.
Falls ich hier grundsätzlich etwas falsch verstanden habe am System des Gebeutelten, möge man mich gern korrigieren. Vielleicht habe ich ein ausgeklügelt selbstironisches Spiel ja komplett missverstanden… Ein gewieftes Kunstprojekt, von der Kulturbehörde nur vordergründig finanziert, das am Ende zeigen soll, wie “Gesellschaft” funktioniert?!
Auf die Auflösung dieses Rätsels bin ich mal sehr gespannt.
In jedem Fall aber auf die Fortsetzung der Geschichte des Kunstbeutels in 2015.
In welchem Verhältnis Beutelträger und Beschenkte stehen, kann ich nicht beurteilen und da Subjektivität ausdrücklich Teil des Konzeptes ist, finde ich das auch schwer zu kritisieren. Ich würde daher eher der Frage nachgehen, warum das in der ersten Runde kaum Thema war?
Dem/der ersten Beutelträger/in ist es gelungen, die bescheidene materielle Ausstattung des Beutels ideell aufzuwiegen und die Aufmerksamkeit auf Inhalte zu lenken. Die Blogeinträge, in denen sehr viel Mühe und Recherche steckt, dokumentieren eine offene und aktive Suche. Sie nutzen das Potential, mithilfe des Kunstbeutels das Interesse am künstlerischem und kunstpolitischem Engagement und Diskurs innerhalb einer Stadt zu befeuern- und zwar über einen längeren Zeitraum. Davon konnten eben nicht nur einzelne Beschenkte, sondern die ganze “Szene” profitieren.
Die Einleitung des aktuellen Beitrags dagegen liest sich tatsächlich eher wie eine Rechtfertigung und die dann folgende, recht lieblose Auflistung der Bedachten rückt Namen und (ungleich verteilte) Geldsummen in den Fokus. Die Chance, in der Einleitung behauptete “Missverständnisse” aufzuklären, wird nicht genutzt, sondern ins Gegenteil verkehrt: statt ein Gespräch über strukturelle Probleme des Kunstbetriebs oder die Verdienste der Künstler, Galeristen und Initiativen anzuregen, werden die Beschenkten dem Futterneid der Kollegen ausgesetzt. Schlechter kann es kaum laufen. Dass wir bereits gesehen haben, dass es auch anders geht, macht die Sache umso tragischer.
Und was das Geschlechterverhältnis angeht: NICHT! IM! ERNST!
Ich möchte mich Julia, Verena und Bork anschließen – das ist gelinde gesagt merkbefreit bzw. ganz große Scheisse. Bitte um dringend um Erläuterung/ Stellungnahme!
An die Moderation: vielleicht könnte man “werden die Beschenkten dem Futterneid der Kollegen ausgesetzt.” noch durch “wird gestritten, wer es verdient hat.” Sonst wird am Ende allen Kritikern Neid unterstellt, das will ich gar nicht…
Ich finde die Auswahl der Geförderten durchaus gelungen. Die Summen bilden die Komplexität des Engagements gut ab und sind das Ergebnis von Männern und Frauen…
Viele der zuvor geäusserten Gedanken wirken “organisiert”. Ebenso stört mich der aggressive Grundton der Unterhaltung!
Nach Jahren der Betrachtung eines männlich dominierten Geschlechterverhältniss im Kulturbetrieb, nicht nur in der Hamburger Kunstwelt- pi mal Daumen immer so ca. 80:20 für die Herren, endlos vielen dummen Diskussionen mit Kollegen und Kolleginnen (sic), die sich dann immer auf den Qualitätsbegriff zurückzogen, merkt man auch hier, es ändert sich nichts. Wir erleben eine immer wiederkehrende Benachteiligung. Wie wäre es endlich mal mit einer Vergaberichtlinie von Preisen/Stipendien/Fördermitteln nach dem 50:50 Prinzip. Da gibt es dann auch nichts mehr zu kritisieren, zumindest nicht am Geschlechterverhältniss.
PS: In früheren Jahren hat man Frauen übrigens, wenn sie sich über Unterdrückung und Ungerechtigkeit beschwerten noch die Diagnose der Hysterie gestellt, die in den 50er Jahren durchaus gerne noch medikamentös behandelt wurde…soviel zu der Kritik an dem aggressiven Grundton.
ich denke, das problem ist bei zu vielen männlichen kollegen noch immer, dass sie feminismus den frauen überlassen. würden wir in einem matriarchat leben, in dem männer sich nach jahrtausenden der unterdrückung befreien würden, jungs, auch dann würde ich mich für die emanzipation der geschlechterrollen einsetzen. allein für die freiheit. wo bleibt ihr?
… Es geht ja nicht darum, irgendjemand etwas nicht zu gönnen, oder die künstlerische Qualität der Empfänger anzuzweifeln, sondern nach den Kriterien zu fragen, nach der eine immerhin doch erhebliche Summe Geldes vergeben wurde. Und die sind meiner Meinung nach weder nachvollziehbar noch transparent und erscheinen eingleisig. Dadurch wird die in dem Kunstbeutel-Experiment liegende Chance verwirkt, nach anderen als den üblichen Jury- und Kommissions-Kriterien vorzugehen und tatsächlich Alternativen zu entwickeln. Und sogar in der Praxis zu erproben. Ich stimme mit Marlene Denningmann überein, dass dem/der ersten Kunstbeutelträger/in es gelungen ist, die Auswahl als offene und aktive Suche zu gestalten, bei der auch die eigene Subjektivität einer kritischen Reflexion unterzogen wurde. Und ich bin wie sie der Meinung dass nur auf diese Weise das Interesse am künstlerischem und kunstpolitischem Engagement und Diskurs innerhalb einer Stadt befeuert werden kann. So dass nicht nur einzelne Beschenkte, sondern alle profitieren. Das wäre eine Möglichkeit, den Kunstbeutel produktiv zu nutzen.
Danke, Julia, Tanja, Verena, Anik, Adriane… für die guten Kommentare, denen ich mich gern anschließen möchte. Von Transparenz kann hier vor allem in dem Sinne die Rede sein, als dass die Vorgehensweise bei der Wahl, bzw. die Kriterien ganz gut durchschaubar sind. Dem Beutelträger zugute halten würde ich , dass er immerhin, was die Altersklasse der Kunstschaffenden betrifft, sinnige Argumente vorgelegt hat. Aber in der Tat zeugen diese Kriterien nicht eben von einem Ringen um Überraschungsmomente, sondern eher von einer gewissen Beharrlichkeit. Darf es geben, aber wer schafft den Ausgleich? Zur Verteilung der Gelder zwischen Männlein und Weiblein: immerhin hat ein ER gleich die krassen Misverhältnisse festgestellt. Auch dafür danke. Nun ja, bleibt zu hoffen, dass der nächste Beutel nicht nun unter den “Säcken” verteilt wird. Pardon, excusez-moi. C’est trop beau.
Mir gefällt die Idee des „Kunstbeutels“. Es hat etwas leichtes und spielerisches und die erste Trägerin hat diese Leichtigkeit auch ausgefüllt. Man hatte das Gefühl, sie nimmt Ihren „Auftrag“ ernst, aber auch mit Spaß und geht auf Entdeckertour. Bei der diesjährigen Trägerin (wohl eher ein Träger, who knows) vermittelt sich mir das Gefühl, es fehle die Distanz. Zu viel Nähe zu Künstlern, die alle kein leichtes Brot verdienen. Und es gibt auch gar nichts zu sagen, die Ausgewählten haben alle ihre Qualitäten. Trotzdem hat man kein gutes Gefühl, es bleibt eben der Eindruck, der Kreis sei zu klein, zu verquickt die eine Seite des Komitees mit der anderen Seite der Bezuschussten. Schade. Natürlich ist die Szene klein. Aber das erste Beispiel sollte weitergeführt werden. Die ungleiche Geschlechterverteilung nervt auch, schon wenn man sich die Mitglieder des Komitees anschaut gibt es ein deutliches Männerschwergewicht. Natürlich geht es meist nicht darum, dass explizit Männer ausgesucht werden, sondern eher darum, an „wen man denkt“. Aber dann muss man sich halt mal selber überlisten und nicht gleich dem ersten Gedanken folgen, denn nicht unbedingt die auffälligen sind auf lange Sicht die überzeugenden. Man darf gespannt sein, wie es weiter geht.
Was sind künstlerische Qualitäten?! Wer ausser dem Markt soll diese aktuell und neutral beurteilen? Naturwissenschaftler haben da weniger Probleme diese zu formulieren und trotzdem gibt es auch da kaum weibliche Preisträger. Was mir auffällt: Größere Projekte stehen m.E. für Unternehmungen, welche zwar ohne die Hilfe von Frauen nicht denkbar aber auch ohne die Initiative von Männern nicht entstanden wären. Anscheinend tendieren eher die Männer zur Schaffung komplexer Strukturen, welche mehrere Personen mit Arbeit, Einkommen und teilweise auch Sinn versorgen.
Anstatt sich darüber aufzuregen, könnte das Ansporn sein für sich selbst und bestenfalls über sich selbst hinaus Verantwortung zu übernehmen. Auch wenn nicht jeder Angestellte auch ein guter Chef ist, aber wer sich (nicht nur) im Kunstbetrieb nicht emanzipiert, macht sich abhängig. Die Verlagerung von Abhängigkeiten ist keine Basis, nicht für Männer, nicht für Frauen, nicht für Staaten, nicht für Ideologien, für Niemand!
Mitstreiter wie Käufer/Entscheider wollen gefunden und von Ideen überzeugt, mitgerissen, angestiftet, beseelt werden. Das ist m.E. unabhängig vom Geschlecht und Geschäft die einzige Grundlage für ein unabhängiges Schaffen und Leben. Dafür und auch für das Scheitern muss man jedoch Verantwortung übernehmen. Schlimmstenfalls trotz Quote…
Ich halte alle hier versammelten Gedankenträgerinnen geeignet mit dem Erfolg ihrer Arbeit ausgestattet eine eigene Plattform zu gründen, sich um die Gunst der Behörde oder bestenfalls um die des Marktes zu bemühen und das zu tun was sie die ganze Zeit in Anspruch nehmen: Sich zu emanzipieren!
Wenn auch meine eingangs aufgeworfene Frage noch unbeantwortet blieb, erfreulich, dass zwischen vielen anderen auch eine “Gunda S.” hier mitliest und sich mittlerweile zu Wort meldet. Sollten wir uns vielleicht erinnern, wie gute Bekannte aus der Trommelstraße schon einmal auf öffentliche Kritik reagierten, in ihren Ausstellungen den weiblichen Teil des Kunstgeschehens weitgehend auszublenden? Man gab sich unbedarft (siehe Rückzug auf Qualitätsbegriff) und den männlichen Teilnehmern der nächsten Ausstellung weibliche Aliase. Ungefähr so lustig wie Blackfacing. Das zum Grundton. Ja, man könnte sagen, etwas bei der Auswahl sei durchaus gelungen – aber was das war und wie das denn sein kann, vor allem aber, auf welche Weise das Wünschenswerte besser zu bewerkstelligen wäre, diese in jeder Hinsicht unerlässliche Diskussion hat gerade erst ihren Ausgangspunkt gefunden und nur eben mal hier. Auch darum, liebe oder lieber “Gunda S.”, eben doch die eigenen Gedanken zu organisieren, bevor man sich kundtut, das wäre mal keine schlechte Sache
Hallo Burk Koller,
um es vorweg zu nehmen ich brauche keine Almosen und unterstütze Künstler männlich wie weiblich. Daher kenne ich die Beteiligten ohne das die mich kennen müssten. Was auch nichts zur Sache tut, denn im Endeffekt läuft es darauf hinaus, das ich mich frage wie sich die Geschlechtsgenossinen das Leben vorstellen. Wer etwas wirklich will, muss hinterher sein. Was hält Euch davon ab eine eigene Plattform aufzubauen? Wieviel Quoten braucht ihr noch? Mehr als irgendwo sonst sind Künstler auf Plattformen angewiesen. Je höher, desto besser. Das macht erfolgreich und angreifbar zugleich. Anderen ans Bein pinkeln ist einfach nicht souverän und schreibt die Opferrolle genau da weiter, wo von Anfang an daran gearbeitet wird: In Eurem Kopf!
Die zu fördernden Positionen und Projekte werden meines Erachtens nach unzureichend und ungenau vorgestellt – die lässige Sprache gesellt sich zu der Lässigkeit, mit der die Vielheit der Kulturproduzent_innen außer Acht gelassen wird. Ich würde mir seitens der Kunstbeutelträgerin / des Kunstbeutelträgers eine konzeptuelle Positionierung und (Selbst-)Reflexivität wünschen, denn ihre / seine Argumentation scheint tatsächlich (brüderlich) ‘verfilzt’. Die verantwortliche Person könnte Hamburgs künstlerische Praktiken in ihrer Diversität und Spannung zueinander kartographieren, doch sie / er hat die Praktiken der ausgewählten Kandidat_innen leider nicht in Relation zu einem analytischen Netzwerk gesetzt. Das das Akzeptanz findet, ist frustrierend.
Gunda S. Sätze erinnern an die Bürde des täglichen Sozialdarwinismus, in Spivaks Worten “the burden of the fittest”. Der Pimp und seine Glaubenssätze.
Der/die diesjährige Kunstbeutelträger/in 2014 hat aus meiner Sicht ein zentrales Ziel seiner/ ihrer Arbeit erreicht: „Das Ziel der Website und der gesamten Versuchsanordnung ist, für und mit den für das Kunstgeschehen der Stadt interessierten Menschen eine gute Diskussion über das Kunstgeschehen und die öffentliche Kunstförderung zu initiieren.“
Ein pointierter Austausch über verschiedene Argumente und kontroverse Standpunkte zu dieser experimentellen Form der Kunstförderung ist hier bereits vielseitig dokumentiert.
Aus der Diskussion möchte ich eine Perspektive auf 2015 ableiten. Dazu muss ich Sie, geehrte/r Gunda S., zunächst einmal zitieren (Kontext s.o.):
„Ich halte alle hier versammelten Gedankenträgerinnen geeignet mit dem Erfolg ihrer Arbeit ausgestattet eine eigene Plattform zu gründen, sich um die Gunst der Behörde oder bestenfalls um die des Marktes zu bemühen […]“, (Gunda S. am 03/12/2014 um 01:23)
„Was hält Euch davon ab eine eigene Plattform aufzubauen? Wieviel Quoten braucht ihr noch? Mehr als irgendwo sonst sind Künstler auf Plattformen angewiesen. Je höher, desto besser. Das macht erfolgreich und angreifbar zugleich.“ (Gunda S. am 03/12/2014 um 17:10)
Von Ihren Aussagen bin ich schier überrascht.
Eine eigene Plattform gründen/ aufbauen? Um diese Frage geht es hier doch gar nicht, sondern darum, wie eine gestellte Aufgabe, ein öffentlicher Auftrag ausgefüllt wurde.
Ihre wiederholt getätigte Aussage legt den Schluss nahe, dass (aus Ihrer Sicht) der Kunstbeutel in Hamburg mit Unterstützung der Kulturbehörde als eine Plattform initiiert wurde, die dazu verhilft, die EIGENE Position einer bestimmten Gruppe zumindest innerhalb der Stadt zu festigen und dieser zu weiterem Erfolg bestenfalls sogar auf dem Kunstmarkt zu verhelfen. Von der Identität eines Ich/ Wir wird ein Du/Ihr klar und konkurrierend abgegrenzt.
Hatte ich nach meinem ersten Kommentar fast noch ein schlechtes Gewissen, den aktuellen Beutelzug spontan mit dem Begriff „Filz“ zu assoziiert zu haben, so kann sich mein Eindruck nach Ihren Gedanken zum Kunstbeutel, die von einem gewissen Insider- oder “Wir-Gefühl“ sprechen, nur bestätigt sehen. Der Kunstbeutel letztlich doch als Spielwiese und zur Profilierung für einen elitären Zirkel?
Zum Begriff Filz (vgl. Wikipedia, sic!). Filz ist ein textiles, nicht gewebtes Flächengebilde aus einem ungeordneten, nur schwer zu trennenden Fasergut. Ihm werden je nach Materialzusammensetzung u.a. die Eigenschaften temperaturbeständig, nicht brennbar, kältehemmend und feuchtigkeitsabweisend zugeschrieben. Es ist also ein enorm widerstandsfähiges Gewebe, das in der Tätigkeit des Filzens in den letzten Jahren nebst traditionellen Formen des Handarbeitens von Stricken über Häkeln hin zu zeitgenössischen Ausdrucksformen (z.B. als Urban Knitting) eine Renaissance erlebt. Die zahlreichen erhältlichen Bastelbücher zur Technik des Filzens mit Titeln wie „Kunterbunte Filzfreunde. Mit Liebe und Nadel gefilzt“ belegen dies.
Im übertragenen Sinne sprechen wir von „Filz“ dann, wenn bestimmte Personengruppen – auch durch finanzielle Abhängigkeiten – strukturell so eng und komplex miteinander verbunden sind, dass die Verknüpfungen undurchschaubar werden. Oder auch, wenn versucht wird, als Gruppe bestimmte Vorteile gegenüber anderen zu erzielen und Störfaktoren von außen abzuweisen.
Wenn ich Ihre Kommentare, Gunda S., also etwas zugespitzt auslege, dann muss ich zu dem Schluss kommen, dass zumindest einige Fasern eines miteinander verwachsenen Gebildes der Auffassung sind, ihr „Gut“ anderen unbedingt vorenthalten zu wollen.
Etwaige KritikerInnen sollten sich doch bitteschön eigene Plattformen schaffen! Heißt doch in etwa so viel wie „Finger weg von meinem Förmchen und raus aus meinem Sandkasten!“ Was für eine ex-klusive Auffassung, wenn es um öffentliche Gelder geht. Doch das ist hier offenkundig und zum Glück die Einzelmeinung eines Akteurs/ einer Akteurin der Hamburger Kunstszene, der / die sich um die Bewahrung vermeintlich eigener Privilegien sorgt.
In der Definition „[…] jede Art von bildende Kunst betreffende Aktivität, Person, Gruppe, Organisation und Institution“ könne mit dem Kunstbeutel ausgezeichnet werden, steckt die freundliche Ermutigung zu einem offenen Interesse daran, über den Rand der eigenen Plattform zu blicken und Impulse auch da außerhalb des eigenen Dunstkreises zu setzen, wo besondere Qualitäten wahrgenommen werden.
Ein positiver Auftrag an den Kunstbeutelträger, der nicht nur mir von Anfang an sehr gefallen hat. Vielleicht braucht es für das 3. Jahr Ergänzungen?
Vor der Folie der Erfahrungen aus zwei Jahren und im Sinne der absolut wünschenswerten Fortsetzung des Experiments in 2015 würde ich mich freuen, wenn Komitee, Redaktion und Kulturbehörde, das Wie noch einmal gemeinsam diskutieren – und wenn mögliche Ergebnisse hier gern in dem lockeren Duktus wie bisher kundgetan würden:
– Wie (un-) verbindlich sollten bereits getroffene Vorgaben für das Beuteltier und seine Gesten bleiben?
– Sollte es eine Art von annähernder / gleichstellender Quote bei der Vergabe geben?
– In welcher Form könnte das Komitee von Jahr zu Jahr z.B. zu 50 % seiner Sitze wechseln? Möglicherweise im Losverfahren, um das intendiert Spielerische des Konzepts zu bewahren? Wie können neue Komiteemitglieder aus unterschiedlichen Teilen der Kunstszene Hamburgs bestimmt werden?
– Und was ist eigentlich, wenn ein/e Kunstbeutelträger/in wenig Gespür für die Geste des Beuteltierens beweist und keine Witze erzählt oder nur solche, die alle schon kennen?
(Diese Fragen stellen sich mir einfach – allerdings auch in dem Bewusstsein, dass es zunehmend schwieriger werden könnte, BeutelträgerInnen zu finden, die unbefangen und mit Freude ans Werk gehen…)
An den Markt als den Mechanismus zu verweisen, welcher automatisch Qualität (und damit auch gleich Gerechtigkeit) hervorbringt, ist an Zynismus kaum zu überbieten. Wenn man Kunst als Ware und Kuntsproduktion als reine Dienstleistung versteht, müssten sich die durchsetzen, die am effizientesten produzieren können; so funktioniert der Kunstmarkt aber gar nicht.. Eher handelt es sich also um einen Nischenmarkt für Luxusgüter, deren Handel hinter verschlossenen Türen stattfindet, und auf dieser Ebene sind ökonomische Beziehungen von Macht und Abhängigkeit bestimmt, also durch die, die auch die Mittel dazu haben, und das sollen wir dann bitte so hinnehmen? Das kann niemand wollen, nicht im Allgemeinen und nicht in der Kunst, da sollte man gemeinsam für einstehen und vor allem weiter drüber diskutieren.
zu gunda s.’s kommentar über frauen und naturwissenschaften: die bildungslücken über weibliche genies sind so groß wie salonfähig… wer hat schon von “kleopatra, die alchimistin” oder “maria, die jüdin” gehört? diese großen naturphilosophinnen haben grundsteine für die spätere naturwissenschaft “chemie” gelegt. später, im christentum galten sie natürlich als hexen und die patriarchale geschichtsschreibung hat sich nicht die mühe gemacht, sie wie ihre männlichen kollegen im nachhinein sorgfältig wieder ans licht zu bringen.
ein späteres beispiel aus der malerei: kandinsky galt lange zeit als der pionier, der das erste abstrakte bild malte… hilma af klint tat das 4 jahre vor ihm, was mittlerweile bekannt ist und in berlin einen würdigen auftritt hatte (letztes jahr). eigentlich müssen bücher über kunstgeschichte und allgemein historische bücher neugeschrieben werden. hier ein paar links für eine erste kleine bildungsstunde, damit keiner mehr solche peinlich naiven sätze mehr sagen muss wie “gründet doch eure eigenen plattformen” oder “die männer haben das große geleistet”.
1) kleopatra, die alchimistin und co:
http://books.google.de/books?id=GjVU4sGCDY4C&pg=PA133&lpg=PA133&dq=kleopatra+die+alchimistin&source=bl&ots=J2wzle6Yh-&sig=EWHHCDOlOcvyVHVOj-ZfYXqZiQ8&hl=de&sa=X&ei=PEGCVIXdNMX1OPjegdAP&ved=0CDQQ6AEwAg#v=onepage&q=kleopatra%20die%20alchimistin&f=false
2) eine suche nach antworten auf die historische männliche selbstüberschätzung:
http://www.perlentaucher.de/buch/jack-holland/misogynie.html
unter
3) suche nach antworten auf die historische unterschätzung der frauen in der literatur:
http://www.fischerverlage.de/buch/ein_eigenes_zimmer/9783596149391
so und noch eines zu den ach so vielen quoten: stelle mal die jahrtausende der bildungsverbote und ähnliches ein paar jahren von quoten gegenüber. na? sportliche fairness, wie?
4) http://www-cg-hci.informatik.uni-oldenburg.de/~da/schumann/IuGDiff/pagesc/infwxda.html
ja, danke burk für den anstoß, und euch anderen für die teilnahme.
die quoten richten sich ja vor allem an jene, die bei “DER mensch”, “DER künstler” usw. erstmal nur an männer statt an menschen denken. das ist ja sogar sprachlich so angelegt, dass die allgemeine form die männliche ist. eine quote ist sozusagen eine erinnerungskrücke, eine hilfe, um nicht unfair die geschichtlichen folgen der ignoranz zu festigen.